Annukka Hirvasvuopio-Laiti
Die Sámi (sápmelaš, pl. sápmelaččat) [veraltet: Lappen] sind Ureinwohner mit ihrer eigenen Geschichte, Sprache, Kultur, Lebensweise und Identität. “Sámi” kommt von dem samischen Wort Sápmi, welches sich sowohl auf das Gebiet bezieht, das traditionell von den Sámi bewohnt wird, als auch auf die ethnische Gruppe der Sámi selbst. Die Sámi sind ein Volk, das als Ureinwohner anerkannt wurde. Sie leben in Skandinavien, also Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Ihr Gebiet [auch Lappland genannt] erstreckt sich von der Mitte Norwegens und Schwedens über den nördlichen Teil Finnlands bis zur russischen Halbinsel Kola. Heute leben dort insgesamt zwischen 60.000 und 100.000 Samen, je nachdem, welche Zugehörigkeitskriterien man anwendet.
Sápmi bzw. Lappland wird auf Landkarten oft entsprechend seiner Sprachgebiete aufgeteilt. Es gibt verschiedene samische Sprachen, von denen drei (Inari-samisch, Skolt-samisch und nordsamisch) in Finnland gesprochen werden. Skolt-samisch sowie Kildin-samisch und Ter-samisch wird auch in Russland gesprochen. Nordsamisch gilt als die vorherrschende Sprache mit den meisten Sprechern. Außer in Finnland wird nordsamisch auch in Schweden und Norwegen gesprochen. In Norwegen und Schweden werden auc h die samischen Sprachen Jule-samisch, Bite-samisch, Ume-samisch und südsamisch gesprochen.
Neben ihrer gemeinsamen Sprache haben die Samen der verschiedenen Länder beispielsweise ihre traditionelle Lebensweise (wie Rentierhaltung, Fischen und Jagen) gemeinsam, die gleiche oder eine ähnliche traditionelle Tracht, ihr Handwerk und ihre Musiktradition. Traditionelle Musikstile richten sich oft nach den Sprachgruppen, obwohl zusätzlich zu den verschiedenen Dialekten lokale Merkmale in den traditionellen Musikstilen stark ausgeprägt sind. In Finnland gibt es die livđe-Gesangstradition der Inari-Samen und die leu’dd-Gesangstradition der Skolt-Samen. Leu´dd und luv´ttkommen auch in Russland vor. In Norwegen und Schweden gibt es auch die vuolle und vuelie– Traditionen unter den Lule-, Ume- und Südsamen.
Der traditionelle Vokalmusikstil der Nordsamen ist der Yoik. Luohti ist ein samisches Wort, das einen besonderen Joik beschreibt. Das Verb juoigat bedeutet jemandem oder etwas joiken, nicht, über jemanden oder über etwas joiken. „Luohti joiken“ kann nicht gleichgesetzt werden mit „ein Lied singen“, dies sind zwei vollkommen unterschiedliche Bedeutungskonzepte, denn in der samischen Sprache wird das Joiken vom Singen unterschieden, wofür das Verb lávlutverwendet wird. Charakteristische Merkmale des nordsamischen Joik sind die unverwechselbaren Rufe und Rhythmen, Improvisation, ohne instrumentale Begleitung, die juoiganstávvalat Verwendung von ‘Yoik Silben’ (hey-yo, lo-laa, naa-naa) und die enge Beziehung dieser musikalischen Tradition mit der samischen Kultur bzw. Lebensweise.
Man kann eine Person “joiken” (persönlicher Joik) oder ein Tier oder sogar eine Landschaft. Ein Sámi Joiker und Lehrer,Ánte Mihkkal Gaup, erklärt, dass ein persönlicher Joik wie ein Name für einen Sámi ist. Es wird mit dem Begriff luohtenamma benannt. Der persönliche Joik ist so charakteristisch und beschreibt die Person/das Objekt so treffend, dass er laut Gaup als ein integraler, unablöslich mit der Person verbundener Teil der Identität eines Sámi gesehen werden kann, genauso wie der Vor- und Nachname. Luohtenamma ist ein wichtiger Teil der samischen Persönlichkeit. Ich würde sagen, dass ein personaler Joik wie ein “musikalisches Foto” einer Person ist.
Nordsamische Musiktradition ist eng verbunden mit der Rentierzucht. Neben der Arbeit mit den Rentieren haben die Rentierhalter oft gejoikt. Joiken war ein Zeitvertreib, wenn man mit den Rentierherden von Ort zu Ort zog, und unter anderem während der langen Winter, wenn die Rentierhirten im Dienst wach bleiben mussten, während sie ihre Herde hüteten. Außer dem Lagerfeuer soll die menschliche Stimme auch dazu gedient haben, Raubtiere zu vertreiben oder fernzuhalten.
Man mag sich fragen, ob die Erhaltung der gesamten nordischen Sámi Musiktradition oder sogar die Erhaltung der Sámi-Kultur und Sprache bis auf den heutigen Tag insgesamt gesehen eine Art Wunder ist, da sie die ganze Zeit unter so großem Druck stand, ausgerottet zu werden. Die Praxis der Hexerei wurde in Finnland-Schweden im 17. Jahrhundert verboten genauso wie das Hexentrommeln, das von den samischen Schamanen während ihrer Rituale benutzt wurde. Jene, die diese Gesetze brachen, mussten mit der Hinrichtung rechnen. Noch 1734 verhängte das Finnland-Schwedische Gesetzbuch die Todesstrafe für Hexerei. Neben der Praktizierung der Hexerei wurde auch das Joiken während der Rituale verboten. Während der spirituellen Rituale benutzten die samischen Schamanen das Trommeln, um in Trance zu fallen, aber die Trommel wurde auch bei einer göttlichen Weissagung verwendet. Die Priester verstanden die Bedeutung und Funktion des Joiks in der samischen Gesellschaft nicht, sondern sahen nur die Verbindung zum Schamanismus. Dies führte dazu, dass die ganze samische Musikkultur als Sünde verdammt wurde. Obwohl die Todesstrafe für das Joiken schließlich endlich abgeschafft wurde, wurde es im 19. Jahrhundert weiterhin unterdrückt durch die religiöse Bewegung von Lars Levi Laestadius und die sehr negative Haltung gegenüber dem Joik in Finnland, Norwegen und Schweden.
Der samischer Forscher Veli-Pekka Lehtola beschreibt die Zeit seit den 1960er Jahren als eine “Sámi Renaissance”. Nach seinen Aussagen war die Bewegung am Anfang der 1970er Jahre gekennzeichnet durch einen Durchbruch in der samischen Kultur auf sehr breiter Front: in Politik, Medien, Kultur Bildung und gesellschaftlichen Aktivitäten. Wie auch Professor Vuokko Hirvonen bestätigt, hat der Joik in den letzten Jahrzehnten eine Wiederbelebung erfahren: mehr und mehr traditionelle Joiks wurden publiziert, neue Joiks entstanden und eine neue Art Joiktradition bildete sich heraus. Nils-Aslak Valkeapää, oder in seinem Volk unter dem Namen Áillohaš, (1948–2001) bekannt, war ein samisches Multitalent [Musiker, Schriftsteller und Schauspieler], aus einer samischen Rentierzucht-Familie auf der finnischen Seite von Sápmi/Lappland stammend. Sein Debutalbum Joikuja (OTLP-50) von 1968 schrieb Geschichte, weil traditionelle Joiks nie zuvor mit musikalischer Begleitung aufgenommen worden waren. Das Joikuja Album läutete eine neue Ära in der Sámi Musik ein und war die Basis für die moderne populäre Sámi Musik. Heutzutage ist die modern Sámi Musik sehr vielseitig und wandlungsfähig und Sámi Musik findet sich in fast jedem Musikgenre. Es gibt Sámi Rap, Tanzmusik, Musik für Kinder und geistliche Musik. Der traditionelle Joik wird im Sámi Volk noch sehr hochgeschätzt, und beispielsweise wurden vielfältige Bildungsprojekte entwickelt, um ihn lebendig zu halten. Ein Beweis dafür ist z.B., dass das jährliche Sámi Musikfestival in Kautokeino, Norwegen, einen Musikwettbewerb durchführt, der Kategorien für traditionelle unbegleitete Musik und auch moderne Musik beinhaltet. Traditionen werden geschätzt und hochgehalten, aber auch der Modernität wird Raum gegeben.
Annukka Hirvasvuopio-Laiti, Hirvas-Niillasa Heaikka Annukka, 1973 geboren, lebt in Ohcejohka, Finnland. Sie ist Musikerin, Volksmusikforscherin, Rentierhirtin, Mutter von drei Kindern, hat eine Assistenz-Professur in samischer Sprache und Literatur an der Sámi Universität für angewandte Wissenschaften in Guovdageaidnu, Norwegen.
Übersetzt aus dem Englischen von Barbara Schreyer, Deutschland