Von Prof. Theodora Pavlovitch, Chordirigentin und Dozentin
Übersetzt aus dem Englischen von Barbara Schreyer, Deutschland
Wenn man auf die Karte von Bulgarien schaut, findet man im Zentrum die Region Thrakien an den Ufern der Tundja (antiker Name Tonzos) – einem Fluss, der die Wiege der Zivilisation in dieser Gegend war. Eine der bedeutesten Städte entlang des Flusses ist Yambol, und nur wenige Kilometer davon entfernt befindet sich die sehenswerte antike thrakische Stadt Kabile (2000 v. Chr.). Die hiesige Bevölkerung betrachtet sich als Nachkommen der thrakischen Kultur und ist sehr stolz auf ihr Kulturerbe.
Die Region und die Stadt selbst haben eine lange Chortradition: Der erste Chor in Yambol wurde 1898 gegründet und später entstanden 15 weitere Chöre. 1967 baute die Musiklehrerin Stefka Pastarmadjieva einen Kinderchor auf, der nach kurzer Zeit zu einem der besten in Bulgarien zählte. Er gewann viele Preise bei internationalen Wettbewerben und wurde benannt nach Georgi Dimitrov – dem Begründer der bulgarischen Chorleiter-Schule – als Anerkennung für seine künstlerischen Leistungen. Ausgehend von diesem Kinderchor entwickelte sich ein großer Chorverband, der auch ‘Prof. Giorgi Dimitrov’ heißt. Mehr als 6000 Sänger waren in den verschiedenen Chören des Verbandes in den letzten 47 Jahren organisiert, und so wurde er zu einem der führenden Kulturträger dieser Stadt.
Die demokratischen Veränderungen in Bulgarien haben über die Jahre eine Veränderung der Gesellschaft und der kulturellen Institutionen mit sich gebracht, und das ganze Land hat dramatische Herausforderungen sowohl organisatorisch wie auch finanziell erlebt. Leider wurde die Unterstützung zur Erhaltung und Entwicklung der bulgarischen Chormusik wesentlich gekürzt, und es blieb den Chorleitern überlassen, die Chöre zu retten oder (in manchen Fällen) oblag es regionalen Behörden, die nicht immer den angemessenen Weitblick oder die finanziellen Mittel haben, um zu helfen.
Die Leitung des Chorverbandes ‘Prof. Giorgi Dimitrov’ hatte die brillante Idee, nach Kooperationspartnern zu suchen und schuf den ersten bulgarischen Kulturverein auf der Ebene einer öffentlich-privaten Partnerschaft. Die drei Mitglieder des Vereins waren die Stadt Yambol und zwei nicht-staatliche Organisationen – der Chorverband ‘Prof. Giorgi Dimitrov’ und der Yamboler Zweig von der Gewerkschaft der wissenschaftlichen und technischen Arbeiter. Diese neue Struktur hat sich zum Ziel gesetzt, die Chortradition der Region zu erhalten und spezielle kulturelle Angebote für die Gesellschaft zu schaffen. Als Teil dieser Aktivitäten hob die Gesellschaft 2006 eine neue Chorveranstaltung aus der Taufe – das Thrakische Chorfestival, das jedes Jahr mit großem Erfolg abgehalten wurde.
Der gute Ruf des Chorverbandes ‘Prof. Giorgi Dimitrov’ und der Enthusiasmus der Organisatoren haben viele der besten Chöre Bulgariens angelockt – mehr als 60 Chöre haben bisher beim Festival teilgenommen. Außerdem wurden einige international angesehene Chöre eingeladen, wie der Rundfunk – und Fernseh-Kinderchor aus Bukarest, Rumänien (geleitet von Voicu Popescu), die Camerata Musica Limburg, Deutschland (unter der Leitung von Jan Schumacher) u.a.
Im Rahmen des Internationalen Thrakischen Chorfestivals konnte man auch an einer Diskussion am Runden Tisch teilnehmen, die sich mit den Problemen des Chormanagements befassten. Bei den Festivals der Vorjahre wurden die internationalen Fachkenntnisse zu diesem Thema präsentiert von Sonja Greiner (Generalsekretärin des europäischen Chorverbandes) und Pierfranco Semeraro, Vizepräsident von FENIARCO, dem italienischen Dachverband der Chöre) wie auch von den Präsidenten führender bulgarischer Musikorganisationen: der bulgarischen Chorvereinigung, des bulgarischen Chorleiterverbandes und der Vereinigung der bulgarischen Komponisten.
Children’s Choir, Yambol, Bulgaria
Das Festival lief gut, als plötzlich die Stadtverwaltung Yambol in der schlimmsten Phase der Wirtschaftskrise in Bulgarien (2011) beschloss, ihre Beteiligung an der öffentlich-privaten Partnerschaft zu beenden und ihre finanzielle Unterstützung des Festivals aufzukündigen. Dieser Beschluss brachte das Festival zum völligen Erliegen.
Um das Festival am Leben zu halten und die eigene Existenz zu sichern, initiierte der Chorverband von Yambol eine neue öffentliche kulturelle Institution – eine speziell bulgarische Form eines Kulturzentrums, Chitalishte genannt. Solch eine Art von Institutionen waren ab Mitte des 19. Jahrhunderts im ganzen Land eingerichtet worden und sind seit mehr als 150 Jahren die Zentren zur Bewahrung des bulgarischen Geistes und Kultur. Heutzutage werden diese Institutionen vom bulgarischen Kultusministerium unterstützt, und sie konnten nach Vorlage ihrer erfolgreichen Arbeit Subventionen vom Staat erhalten. Das neue Kulturzentrum in Yambol wurde ‘Thrakische Lyra’ genannt, und nach 2 Jahren engagierten ehrenamtlichen Einsatzes wurde es 2013 vom Kultusministerium anerkannt und subventioniert. Diese kleine Unterstützung half sowohl dem Chorverband als auch dem Festival zu überleben und fortzubestehen.
2013 wurde das Thrakische Festival mithilfe des neuen Kulturzentrums und den zwei nicht-staatlichen Organisationen sowie einigen privaten Sponsoren wieder weiter geführt. Nun zahlten die Chöre eine kleine Teilnehmergebühr, und ein neues Element wurde dem Festivalprogramm hinzugefügt: ein Abend mit traditionellem authentischen Volksliedsingen. Die Organisatoren begannen, dem Festival ein neues Gesicht zu geben, indem sie die reichen bulgarischen Volkstraditionen miteinbezogen.
Das 7. Thrakische Chorfestival fand vom 17.-19. Oktober in der Stadthalle von Yambol statt. Im 1. Festivalkonzert präsentierten sich einige bulgarische Volksmusikgruppen aus dem Gebiet Thrakien. Der 2. Tag war modernen Trends in der Volksmusik gewidmet: Arrangements, neue polyphonische Kompositionen mit Volksmusikthemen und sogar einige Jazzarrangements wurden präsentiert von den Jugendchören der Neuen Bulgarischen Universität (Dirigent Georgi Petkov) und dem Akademischen Folk-Chor der Musik- und Kunstakademie Plovdiv (Dirigent Prof. Kostadin Buradjiev). Das 3. Festivalkonzert gab einen ausführlichen Einblick in die zeitgenössische Chormusik in Bulgarien: ‘Vokalensemble Spektrum’ – ein brillantes Beispiel für das Können der neuen Sängergeneration in unserem Land, die attraktive Arrangements in verschiedenen Stilen, auch modernen auf Folklore basierenden Stücke vorstellten; gefolgt vom Chor der medizinischen Spezialisten (Sofia, Ltg: Maia Vassileva) und dem gemischten Chor ‘Ave Musica’ (Sofia, Ltg. Tania Nikleva-Vladeva). Am Ende der Konzertes führten die letzten beiden Chöre zusammen die berühmte Missa Criolla von Ariel Ramirez auf, begleitet vom Ensemble Libitum auf den typischen Instrumenten.
Die Organisatoren des Thrakischen Chorfestivals, ermutigt durch das Publikum, vertrauen auf eine gute Zukunft des Events und hoffen sogar, noch mehr Unterstützung von verschiedenen Partnern zu bekommen. Das Leitungsteam der Veranstaltung (Vessela Pastarmadjieva, künstlerische Leiterin des Festivals und Dirigentin des Chorverbands ‘Prof. Giorgi Dimitroy’, Dr. Angel Angelov, Direktor des neuen Kulturzentrums ‘Thrakische Lyra’ und Milen Alexandrov, Sekretär und PR des Events) verdient tosenden Beifall für ihre wunderbare Zusammenarbeit, ihren Enthusiasmus und ihr großes Engagement! Sie haben bewiesen, wie ein Chor-Event gerettet werden und in einer sehr schwierigen Situation mit einer Vision und Hochstimmung sogar weiterentwickelt werden kann. Sie glauben daran, dass das Singen Völker auf der ganzen Welt vereinen kann und laden herzlich mehr Chöre und Ensembles ein zum Thrakischen Chorfestival. Willkommen in Yambol, Bulgarien!
Theodora Pavlovitch ist Professorin für Chordirigieren an der nationalen bulgarischen Musikakademie und an der Universität von Sofia. She leitet den Vassil Arnaoudov Kammerchor, Sofia (Gewinner von 22 ersten und Sonderpreisen bei internationalen Wettbewerben) und sie ist ständige Dirigentin des Classic FM Rundfunkchors. Sie wurde mit der ‘Goldenen Lyra’, dem höchsten nationalen Musikpreis in Bulgarien ausgezeichnet und sie leitete den Weltjugendchor in der Wintersaison 2007/2008. Sie ist regelmäßiges Jurymitglied einer Reihe von internationalen Chorwettbewerben und Lektorin bei verschiedenen Musikveranstaltungen in Europa, den USA, Japan, Hong Kong, Taiwan, Südkorea and Israel. 2005 leitete sie eine Meisterklasse in Dirigieren beim 7. Welt-symposium für Chormusik in Kyoto, Japan. Sie ist Vizepräsidentin der IFCM seit 2008 und wurde 2011 in den Vorstand des künstlerischen Komitees des Weltjugendchores gewählt. E-Mail: theodora@techno-link.com