Der Gebrauch von Tonverstärkern bei Klassischen Konzerten

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Luca Ricci

 

Wer hat nicht schon einmal einem Konzert mit akustischer Musik beigewohnt und gedacht, dass einem bestimmten Instrument, einem bestimmten Sänger oder gar einem ganzen Chor ein wenig Verstärkung gut getan hätte?

In meinem Metier, das mit Mastering von Tonaufnahmen für CDs zu tun hat, ist das Problem im allgemeinen schnell gelöst: man braucht nur ein weiteres Mikrofon aufzustellen, um klangliche Defizite eines der Ausführenden, die im Kopfhörer zu hören sind, mit dem Rest der Musiker auszugleichen… 

Die Lösung desselben Problems bei öffentlichen   Live-Konzerten ist technisch gesehen schon etwas  komplizierter, weil man im Konzertraum Lautsprecher anbringen und gegebenenfalls mit monitoring arbeiten  muss, was visuelle und psychologische Effekte hat, an die wir noch nicht gewöhnt sind, im Unterschied zu den üblicherweise für Tonaufnahmen benutzten Geräten, deren Gebrauch sich bei den meisten Amateur- und fast allen professionellen Ensembles mittlerweile durchgesetzt hat.

Auch wenn es stimmt, und es stimmt ja, dass die akustische Musik, egal ob es sich um geistliche Monodien, palestrinische Polyphonie oder eine Messe von Mozart handelt,  für eine Aufführung ohne die Hilfe von Lautsprechern konzipiert wurde, muss man aber doch bedenken, dass der über die Jahrzehnte konsolidierte Einsatz immer  besserer Geräte für die Tonaufzeichnung  (wo  jedenfalls bei den gelungenen Aufnahmen alle Aspekte sorgsam geplant werden) zu dem Wunsch führt, bei live-Events den gleichen Grad von Transparenz zu erreichen. Dabei wird es immer wichtiger, dass die Aufnahmetechnik  und teilweise auch die im Konzert angestrebten interpretatorischen Schwerpunkte darauf abzielen, die Gewichtung aller Teilaspekte der Partitur für das im Saal anwesende Publikum einsichtig zu machen.

 

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Aufgrund meiner Erfahrungen bei Tonaufnahmen von Konzerten kann ich getrost behaupten, dass sich dieser Idealfall nicht oft einstellt, weshalb ich mich immer wieder veranlasst sehe, zusätzlich zur Hauptanlage (den sogenannten Raummikrofonen) noch ein oder mehrere Richtmikrofone zu installieren (also Mikrofone, die auf einzelne Sektoren, Instrumente oder Sänger gehen). Ganz einfach weil nicht alle Tonsignale der verschiedenen Sektionen genügend klar zur Hauptanlage gelangen. Es ist daran zu erinnern, dass sich die Hauptanlage im Vergleich zu den Sitzreihen des Konzertsaals in einer überaus günstigsten Position befindet; das heißt, dass alles, was die Hauptanlage nicht “hört”, erst recht nicht beim Zuschauer ankommt, nicht einmal in der ersten Reihe.

Des öfteren kommen in der Pause Leute aus dem Publikum zu mir und fragen, ob man “etwas hören” kann, und nachdem sie hineingehört haben, stellen sie fest, “dass man hier besser hört als im Saal”; um mein Ansehen als Fachmann zu erhöhen, wäre es natürlich günstig, alles der eigenen Kompetenz zuzuschreiben, aber in Wirklichkeit ist der für die Tonaufnahme Verantwortliche oft zum Eingreifen gezwungen, um der im Vergleich zum übrigen Orchester klanglich unzureichenden Präsenz eines Instruments oder einer Sektion abzuhelfen, wenigstens streckenweise, gelegentlich auch während der ganzen Aufführung.

Bei Ensembles mit Berufsmusikern liegt die Ursache des Problems im wesentlichen in zwei Bereichen:

1) Bei Gruppen, die auf Tournee sind, nehmen die Ausführenden auf der Bühne im allgemeinen eine Standardposition ein: immer im gleichen Abstand zueinander, unabhängig von der Räumlichkeit.

2) Manchmal zwingen die räumlichen Gegebenheiten die Konzertteilnehmer zu Zufallsformationen.

In beiden Fällen geht im Konzertsaal die im Probensaal oder Tonstudio einstudierte Balance verloren. Im ersten Fall, weil man im allgemeinen nicht das Glück hat, einen Saal vorzufinden, der akustisch und strukturell mit dem Saal verglichen werden kann, in dem die Balance gefunden wurde. Im zweiten Fall, weil es ziemlich klar ist, dass eine Neuverteilung der Positionen in einem Raum, der es nicht einmal zulässt, die Standardpositionen einzunehmen, das Risiko erhöht, einige Teile zuzudecken und/oder andere hervorzuheben.

Natürlich gibt es Fälle, in denen sich Ensembles im Konzertsaal gekonnt neu positionieren, aber auch die geschicktesten können nichts machen, wenn der Raum für die Anzahl der Ausführenden einfach zu klein ist.

3) Eine weitere einigermaßen tödliche Situation entsteht, wenn die Räume zuviel Hall haben. In diesem Fall gelingt es nicht einmal durch eine ausgeklügelte Anordnung der auf der Bühne Agierenden, einem Schall entgegenzuwirken, der sich so in die Länge zieht, dass es zur Bildung von clusters kommt; selbst dann nicht, wenn keine Klassiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf dem Programm stehen.

In meinem letzten in Choraliter veröffentlichten Artikel sprach ich von der Wahl einer location für Tonaufzeichnungen, die für den CD Markt bestimmt sind; ich meine, dass die Konzertveranstalter viel mehr auf die Auswahl der Räumlichkeiten achten sollten, in denen die Konzerte stattfinden. Leider treten Aspekte wie Raumakustik oder die Größe des Raums im Verhältnis zum Orchester, das da spielen soll, oft genug in den Hintergrund zugunsten eines  Gebäudes von künstlerisch-historischem Wert oder einfach der Verfügbarkeit eines Raums gegenüber akustisch geeigneteren.

Eine Partitur in Angriff zu nehmen, ohne dass ein im Vergleich zu den Erfordernissen numerisch genügend großes Ensemble zur Verfügung steht, ist ein weiteres Problem, das zu den in Punkt 1 bis 3 genannten hinzukommt und hauptsächlich Amateurformationen betrifft.

Die uns heute zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten zur Einrichtung von Verstärkeranlagen, die dem Anlass angemessen und von ausgezeichneter Qualität sind, könnten einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der hier beschriebenen Fälle liefern. Ich sage “könnten”, denn bei Konzertreihen, die ausschließlich von Berufsmusikern durchgeführt werden, findet der Einsatz elektromagnetischer Mittel zur Erhöhung des Klanggenusses im Konzertsaal meist keine Akzeptanz. Aus einer Statistik, die auf den bisher durchgeführten Arbeiten beruht, ist klar ersichtlich, dass Amateurformationen in dieser Beziehung wesentlich aufgeschlossener sind!

Wenn aus den bisher beschriebenen Gründen ein Teilbereich, ein einzelnes Instrument oder ein Solist in einem Saal nicht gut zu hören sind, kann die diskrete Einrichtung von Mikrofonen und Tonverstärkern, die sinnvoll angeordnet werden, das Probem in vielen Fälle lösen. Sehen wir uns einige Beispiele an.

Eins der häufigsten Probleme sind Solosänger, die man im Saal “kaum hört”, besonders wenn sie aus dem Chor heraus singen, statt sich vor ihn zu stellen; ein vor dem Sänger postiertes dynamisches Mikrofon wie das klassische Shure SM58 minimiert die Rückkopplung und erlaubt eine gute Steuerung der betreffenden Stimme. Für die Positionierung der Lautsprecher gibt es aus meiner Sicht zwei gute Lösungen; die erste, die weniger ins Auge fällt, sieht die Verwendung eines kleinen oder mittleren Lautsprechers guter Qualität vor, der vor den Füßen des Sängers steht und auf das Publikum gerichtet wird; wenn man die Lautstärke geschickt dosiert, hat der Zuhörer fast den Eindruck, dass es gar keine Verstärkung gibt. Die zweite Lösung besteht darin, zwei Lautsprecher auf Stativen in stereophoner Position zum Publikum aufzustellen, im allgemeinen seitlich und leicht außerhalb der Chorstellung; der Klang der Solostimme bekommt dadurch eine feste, wenn auch etwas weniger natürliche Wirkung.

Wenn sich der Solist fortbewegt, wie z.B. bei einer szenischen Aufführung, ist die zweite Lösung die einzig praktikable; dazu kann man mit einem panning, das von einem Tonmeister gesteuert wird, der Bewegung des Sängers mit der Ton-Bewegung folgen. In diesem Fall ist aber das Zurückgreifen auf ein Lavalier (clip-on) Radiomikrofon unerläßlich, auch wenn die wirklich guten sehr viel mehr kosten als die oben erwähnten SM58. Das gleiche Lautstärkeproblem kann auch einen weniger stark besetzten Teilbereich des Chores betreffen, und die Lösung des Problems ist hier ganz ähnlich wie im vorigen Fall: die Aufstellung des Lautsprechers in unmittelbarer Nähe dieses Bereichs ist fast die einzige Möglichkeit um zu verhindern, dass die Arznei die Krankheit noch verschlimmert! Der zu verwendende Mikrofontyp wird im nächsten Beispiel beschrieben.

Bei Choraufstellungen im Rücken der Instrumentalisten, die deren Stimmerzeugung verdecken, sind die Lautsprecher – in diesem Fall unbedingt stereofone – unmittelbar beim Chor aufzustellen, aber wenn man keine geschlossene Mikrofonanlage benutzt (im allgemeinen ein Kondensatormikrofon mit einem Kapseldurchmesser von 1/2 Zoll für jeweils vier Sänger, zwei davor und zwei dahinter, um die Einteilung in Stimmen und/oder Teile zu wahren, oder eins für jeweils zwei Sänger, wenn der Chor in einem Halbkreis steht), ist das Risiko des Larsen-Effekts (das berüchtigte Pfeifen, das von Lautsprecheranlagen ab und zu erzeugt wird) ziemlich groß.

In Anbetracht der Tatsache, dass eine Mikrofonanlage wie die gerade beschriebene meist nur von großen Dienstleistern mit entsprechend hohen Mietkosten geliefert wird, beschränken sich viele Chöre auf das Installieren von Raummikrofonen für die Teilbereiche, wobei die Lautsprecher neben dem Orchester aufgestellt werden; die Klarheit der vom Chor gesungenen Teile ist damit im allgemeinen sichergestellt, aber im Saal entsteht der Eindruck, dass die Choristen auf dem Schoß der Orchestermusiker singen!

Bei sehr halligen Räumen braucht man eine genau auf den Chor und gegebenenfalls das Orchester sowie die Solosänger ausgerichtete Mikrofonanlange, um soweit wie möglich die Signale direkt an der Quelle einzufangen, denn sonst verstärkt man den Hall. Dazu werden die Lautsprecher installiert, wobei so viele Stereolautsprecher mittlerer oder kleinerer Größe aufzustellen sind, wie es die Tiefe des Raums und die Zeit des Widerhalls erfordern (das muss der Tonmeister entscheiden), und zwar in regelmäßigen Abständen, wenn nötig ab der ersten Reihe des Publikums (die ersten Reihen leiden in einigen Fällen nicht so sehr unter exzessivem Hall wie die folgenden), und sie sind auf mittlere bzw. geringe Lautstärke einzustellen; das Prinzip ist das gleiche wie bei der Anordnung von Lautsprechern in Kirchen, damit die Gläubigen trotz einer schlechten Akustik die Liturgie verfolgen können.

Im Freien könnte sich das Problem in umgekehrter Form darstellen; der Ton leidet unter extremer “Trockenheit”, und das Klangvolumen ist in diesen Fällen leicht unzureichend. Das geringere Vorhandensein von Reflektoren wie Wänden und/oder Decken (ich spreche hier vom Normalfall; ein Kreuzgang hat zwar keine Decke, ist aber von Mauern umgeben! Und selbst ein kleiner Marktplatz kann in diesem Sinne gefährlich werden…), bedeutet meist auch weniger Probleme bei der Positionierung der Mikrofone im Verhältnis zu den Lautsprechern (die ruhig ein großes Volumen haben können, wenn Örtlichkeit und Anzahl der Zuschauer es zulassen), und das Problem der “Trockenheit” kann durch künstlich erzeugten Hall gelöst werden.

An diesem Punkt muss gesagt werden, dass sowohl im Bereich der Tonverstärkung wie dem der Tonaufnahme von einem “do-it-yourself”-Verfahren dringend abzuraten ist; selbst wenn eine Musikgruppe über alle Apparaturen verfügt, um mit jeder Situation zurechtzukommen, ist ein Tonmeister  unerlässlich, der es gewohnt ist, mit dem Musikgenre zu arbeiten, das er verstärken soll. Ein fehlender oder inkompetenter Tonmeister wie z.B. ein Chorist, der sich wieder in den Chor eingliedert, nachdem er den Lautsprecher eingestellt hat, den er dann für den Rest des Konzerts sich selbst überläßt (selbst so was habe ich schon erlebt…) kann die ganze Aufführung ruinieren.  

Wie schon gesagt man trifft auf professioneller Ebene immer wieder auf Ausführende, Dirigenten oder Konzertveranstalter mit einer bemerkenswerten Abwehrhaltung, wenn es um die Zuhilfenahme von Lautsprecheranlagen geht. Sie führen dabei die verschiedensten Argumente an: Verlust der Bühnenwirkung, das Risiko von Ungleichgewichten des Klangs (dabei werden, wie wir gesehen haben, solche Ungleichgewichte durch eine gute Lautsprechereinrichtung ja gerade erst behoben), bis zu der Befürchtung, von einschlägigen Fachzeitschriften schlecht kritisiert zu werden. Persönlich denke ich, dass das Schlimmste, was einem Zuhörer passieren kann, die unzureichende Wahrnehmung  von Teilen oder des ganzen Konzertes ist; ohne die Werkstruktur verfolgen zu können, kann es keinen Genuss geben, egal wie perfekt die Interpretation auch ist.

Ganz anders sieht es bei musikalischen Vorführungen oder szenischen Aufführungen mit Rezitation und Gesang in Schulen aus, wo entweder Musikkonserven oder echte Orchester mit kleinen oder großen Instrumenten eingesetzt werden: da werde ich herbeigerufen, und die oben aufgeführten Bedenken spielen nicht die geringste Rolle; der Einsatz von Technologie wird von solchen Institutionen, deren musikalischen wie künstlerischen Leitern und auch den jungen Künstlern mit offenen Armen empfangen. Da sich hier nicht die Frage einer “reinen” Ausführung stellt, genießt der Tonmeister große Handlungsfreiheit. Die musikalischen Teile und die rezitierten Partien erklingen in den Theatern und Auditorien, in denen dann die Aufführungen stattfinden, klar und gefestigt.

Bei meiner Funktion als Tonmeister für klassische Musik, die ich seit einigen Jahren parallel zu meiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Toningenieur ausübe, habe ich in solchen Kontexten oft die besten Ergebnisse erzielt. Und wenn die Bereitschaft zum Einsatz elektroakustischer Mittel bei der jüngeren Musikergeneration auf fruchtbaren Boden fällt, kann man davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren peu-à-peu die Vorurteile im Umgang mit dieser Art elektroakustischer Technologie verschwinden, was die musikalische Botschaft bei live-Events sehr viel genussvoller miterleben lässt.

 

Our thanks to the editors of Choraliter, the FENIARCO bulletin, for permission to print these articles.

 

Luca RicciLuca Ricci hat am Conservatorio statale di musica F.Morlacchi in Perugia bei Stefano Bracci Kompositionslehre studiert und währenddessen bei der Aufnahme zahlreicher Konzerte mitgewirkt, die vom Orchestra Sinfonica dell’Umbria unter der Leitung von Giuliano Silveri gegeben wurden. Seit 1986 macht er in seinem Tonstudio oder in einem mobilen Studio Demo-Aufnahmen für eine Reihe von Ensembles der klassischen, leichten und der Jazzmusik. Auch seine eigenen akustischen und elektronischen Kompositionen hat er aufgenommen. Seit 1998 widmet er sich ausschließlich der Aufnahme klassischer Musik, wobei er seine technischen Anlagen ständig erweitert. Email: l.c.studiomobile@libero.it

 

Aus dem Italienischen übersetzt von Reinhard Kißler, Deutschland

 

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