Von Karen Brunssen, Bienen Musikhochschule in der Northwestern Universität, USA; nächste Präsidentin des Landesverbandes der Gesangslehrer und Empfängerin des Luther College Weston Noble Preises für 2013
Weston Noble: 30. November 1922 – 21. Dezember 2016
Der vielmals geehrte Dirigent und ausgezeichnete Musikerzieher Weston Noble verschied friedlich am 21. Dezember 2016 im Alter von 94 Jahren. Ein Gebetsgottesdienst wurde am 29. Dezember 2016 in der Ersten Lutheranischen Kirche in Decorah, Iowa, abgehalten. Er wurde mit vollen militärischen Ehren am 30. Dezember 2016 auf dem Friedhof am Flussufer in Riceville, Iowa, beerdigt. Eine Gedenkstunde zur Feier seines Lebens wird am 13. Mai 2017 um 13.00 im Luther College in Decorah, Iowa, stattfinden.
Als er vom Tod von Weston Noble gehörte, schrieb ein ehemaliger Student des Luther Colleges: “Wie oft in unserem Leben begegnen wir einem Menschen, der uns so tief beeindruckt, dass unser Leben von den Grundfesten auf verändert wird?” In einer seiner vielen mitreißenden Vorlesungen beschrieb Weston Noble das Privileg, Dirigent zu sein:
“Wenn wir die ein Leben lang anhaltende Herausforderung annehmen, ein klarer, wirkungsvoller Vermittler der gewaltigen Kraft der Musik an andere zu sein – eine Herausforderung bar jeglicher negativen oder verurteilenden Einstellung – dann werden wir andauernde Augenblicke erzielen, die Zeit und Raum wieder beleben und neu anordnen”.
Er bezeichnete dies als den Garten des Vertrauens, wo die Geborgenheit des Singens oder Spielens innerhalb von Gruppen es uns ermöglicht, verwundbar zu sein und – durch die Musik – transformierende Augenblicke zu erleben.
“Ich möchte diese besonderen Zeiten als Augenblicke der Ganzheit bezeichnen, in denen all die widersprüchlichen Faktoren, die in uns sind, sich zusammenfinden. Vielleicht berührt eins der Elemente der Musik … unsere Seele in einer besonderen Art … Einen Augenblick lang sind wir nicht mehr innerlich zersplittert, sondern ‘aus einem Stück’, wunderbar ‘ganz.”
(Noble, W. (2005). Die Erschaffung einer ganz besonderen Welt: eine Sammlung von Vorlesungen von Weston H. Noble. (Steven M. Demorest, Hrsg.), Chicago: GIA Publications. Seite 27 und Seite 18)
Weston Noble kam in Riceville, Iowa, einer kleinen Stadt etwa 65 km westlich von Decorah, Iowa, zur Welt. Seine ersten Klavierstunden bekam er im Alter von fünf Jahren, absolvierte die Sekundarschule als Jahrgangsbester und immatrikulierte sich 1939 am Luther College für das Fach Musik. 1943 machte er vorzeitig seinen Abschluss, damit er sich zur Armee melden konnte. Während des Zweiten Weltkriegs war er Mitglied des 750. Tank-Battalions, und er war an der letzten großen Schlacht, im Grenzgebiet von Belgien, Frankreich und Luxemburg, beteiligt. Nach seiner Rückkehr unterrichtete er ein paar Jahre lang in Luverne, Minnesota, bevor er seinen Magister in Musik an der Universität Michigan erwarb. 1947 wurde er als Chorleiter am Luther College eingestellt – zuerst nur, um eine Vakanz zu überbrücken.
Das Ergebnis war, dass Weston Noble 57 Jahre lang, von 1948 bis 2005, einen Chor dirigierte, der als einer der besten in den Vereinigten Staaten gilt, den Nordic Choir des Luther Colleges in Decorah, Iowa. Von 1948 bis 1973 dirigierte er auch die Band des Luther College. Beide Gruppen unternahmen zahlreiche Konzertreisen. Der Nordic Choir trat unter Weston Nobles Leitung in über zwanzig Ländern auf sowie an allen Ecken und Enden der Vereinigten Staaten: in Kirchen, Schulen und großen Sälen wie – in New York – Town Hall, Carnegie Hall und Lincoln Center, dem Kennedy Center in Washington D.C., der Crystal Kathedrale in Los Angeles und dem Mormon Tabernakel in Salt Lake City, Utah; bei Kongressen des Verbandes der Amerikanischen Chorleiter; in Moskau im Tschaikowski Saal, dem Kreml und dem Bolschoi Theater; im Philharmonischen Saal von St. Petersburg, in der Franz-Liszt-Akademie in Budapest und beim sagenhaften Lied-Festival in Estland, bei dem sich mehr als 25 000 Sänger treffen.
Der Nordic Choir war wegen seines dichten Chorklangs berühmt. Seine Mitglieder hatten sehr unterschiedlich große Stimmen, aber Weston Nobles Aufstellungsweise innerhalb des Chores brachte eine homogene Mischung zu Stande, die eine beträchtliche Bandbreite von Klangfarben verschmolz, und in der jedes einzelne Mitglied sich wohl fühlte. Er begann mit zwei Leuten aus einer Stimmgruppe und ließ sie die erste Strophe des Chorals “My God, how wonderful thou art” singen. Einen nach dem anderen platzierte er dann jeden Sänger entweder rechts oder links von diesen beiden, wobei er alle Mitglieder der Stimmgruppe vermischte, bis er das rechte Gleichgewicht gefunden hatte. Im Konzert hielten sich die Chorsänger an den Händen. Jedes Konzert des Nordic Choirs endete mit “O Lord God” von Pavel Chesnokof. Später kam eine Bearbeitung von “When I survey the wondrous Cross” für Chor mit Orgel dazu.
1949 gründete Weston Noble das Dorische Band Festival am Luther College, und 1950 das Dorische Vokal-Festival. Im Lauf der Jahre weitete sich das aus, so dass mehr als 90 000 Schüler der Mittel- und Oberstufe an Festivals und Lehrgängen für Band, Tasteninstrumente, Orchester und Gesang teilgenommen haben. Bis 2004 hielt er die langjährige Tradition von alljährlichen Proben und Aufführungen von Händels “Messias” aufrecht, mit einem Massenchor von bis 1000 Sängern: Studenten, Ehemalige, Akademiker und sonstige Angestellte des College, und vollem Orchester. Weston. Noble lagen diese 56 Jahre der Messias Konzert-Tradition sehr am Herzen, weil sie ihm die Gelegenheit boten, vielen Menschen, nicht nur denen, die schon in den Chören des Luther College sangen, die Kraft der geistlichen Chormusik nahe zu bringen.
Weston Noble war Vorstandsmitglied des Verbandes der Amerikanischen Chorleiter und gewähltes Mitglied des Verbandes der Amerikanischen Band-Dirigenten. Als der Verband der Amerikanischen Chorleiter den Weston-H.-Noble-Preis für Lebenswerke stiftete, war Weston Noble selbst der erste Empfänger. Der landesweite Verband der Amerikanischen Öffentlichen Schulen verlieh ihm eine Auszeichnung als Hervorragender Musikerzieher in den Vereinigten Staaten; vom Verband der Amerikanischen Chorleiter kam die Robert-Laweson-Würdigung, vom landesweiten Verband der Musikerzieher der Lowell-Mason-Preis, die St.-Olafs-Medaille von König Harald V. von Norwegen; die Mormonen verliehen ihm eine Auszeichnung für hervorragende Dienste, der internationale Verband der Dirigenten von Bands und Orchestern die Ehrenmedaille für Workshops im Mittleren Westen, und er empfing Ehrendoktorate vom Carthage College, Wartburg College, St. Olafs College, Augustana College und dem Westminster College der Rider Universität. Als Gastdirigent arbeitete Weston Noble mit mehr als 900 Bands, Orchestern, Chören und Festivals in jedem Staat innerhalb der Vereinigten Staaten und weltweit in vier Erdteilen.
Nachdem er in den Ruhestand getreten war, nahm er Ein-Jahres-Verträge als Gastdirigent in drei Colleges in den Vereinigten Staaten an: Augustana College in Sioux Falls, South Dakota; Wartburg College in Waverly, Iowa; Carthage College in Kenosha, Wisconsin. Er beteiligte sich auch weiterhin an Musikfestivals in der ganzen Welt, darunter 2009 das Internationale Schulfestival in Kuala Lumpur, Malaysia, 2010 in Korea die Aufführung von Händels “Messias” unter der Obhut der Camarata Music Company, 2012 das Pazifischen Sommer Musik-Festival in Guam und 2013 das koreanische National-Chor-Festival in Seoul.
2006 wurde der Weston-Noble-Ehemaligen-Chor gegründet. Er traf sich im Sommer unter Leitung von Weston Noble auf dem Gelände des Luther College für eine sehr vergnügte Woche voller Proben, gemeinsamer Mahlzeiten, Gespräche, mit einen bunten Abend und als Krönung einem Konzert. Dieses Erlebnis vereinte Menschen aller Altersgruppen aus Mr. Nobles 70 Jahren als Chorleiter. 2014 teilte er mit, dass der Sommer 2015 der letzte für den Ehemaligen-Chor sein würde – mehr als 130 Menschen nahmen in diesem Jahr teil. Der Ehemaligen-Chor wirkte in den letzten Jahren von Weston Nobles Leben als eine Stütze für ihn.
Das Lebenswerk von Weston Noble ist der lebendige Widerschein seiner Einstellung, dass die Musik Herz und Sinn des Menschen zu öffnen vermag. Die tiefgehenden und andauernden Traditionen, die Weston Noble begründet hat, seine überwältigende Bescheidenheit sowie seine wirkungsvolle Probentechnik vermittelten den Hundertausenden, die seine Proben, Konzerte, Vorlesungen und Workshops erlebten, Einblick in gemeinsame Ziele und Methoden. Chorproben, ob mit dem Nordic Choir von Luther College mit seinen 65 Sängern, dem Messias-Chor, dem Weston-Noble-Ehemaligen-Chor, dem Dorischen Festival-Chor, den Allstates Chören oder Festival-Chören in der ganze Welt, boten viel mehr als das Erlernen von Tönen und Rhythmen. Seine Proben und seine Programme waren sorgfältig geplant – die Musik in seinen Konzerten war manchmal mit ihm im Sinn komponiert worden. Sein Dirigieren, seine Kommentare, sein Gefühl für den inneren Rhythmus, sein scharfes Ohr und sein zwangloser Umgang mit den Chormitgliedern erweckten die Harmonien, Rhythmen, Melodien und Texte zum Leben. Man wusste nie, wann man aufgerufen werden konnte, um eine provozierende Frage zu beantworten, oder um die kleinstmögliche Unterteilung der Schlagzeit zu klopfen, oder um dem Rest des Chors etwas als Vorbild vorzusingen. Dadurch waren alle immer wach und begeistert, dass sie mitmachen durften, und durch diese geschickte Behandlung fühlten sich die Sänger immer bestätigt und gewürdigt. Häufig redete er seine Chormitglieder mit den Namen ihrer Heimatorte an statt mit den richtigen Namen. Er besaß eine unheimlich Gabe dafür, sich zu merken, woher die Leute stammten – vielleicht wegen der Tausende von Postkarten und Telefonanrufe, die er im Lauf von sechs Jahrzehnten im Zuge der Anwerbung von Studenten für das Luther College machte.
Die Chormusik ist eines der weltbesten Ausdrucksmittel des Menschen. Weston Noble wird immer als einer der besten Chorleiter gelten, der die Kraft der Musik in – und durch – so viele Menschen bestätigte. Das ausgezeichnete Niveau, das sich unter seiner Obhut in den 70 Jahren seines Unterrichtens und seines Dirigierens entwickelte, läuft wie ein Echo rund um die Erde, in der Gestalt von Dirigenten, Musikerziehern, Komponisten, Lehrern, Gelehrten und Sängern, die es an zukünftige Generationen weiter geben werden.
“Heute mehr denn je ist es unabdinglich nötig, dass wir uns durch die Musik miteinander verbinden. In einer Welt, die zunehmend durch Technologie und die Isolation, die diese mit sich bringt, gekennzeichnet ist, ist es wichtig, eine Chorgemeinschaft zu schaffen. Durch das, was wir tun, erzeigen wir uns fortlaufend als Einzelpersonen, aber darüber hinaus tragen diese Tätigkeiten eines jeden unter uns zur Definition der Menschlichkeit bei … Obwohl wir das Übel nicht ignorieren können, so ist es unsere Aufgabe, als Einzelner wie als Mitglied von Gruppen, die Menschlichkeit wiederum im Rahmen des Besten, das wir zu geben vermögen, neu zu beschreiben.”
Karen Brunssen, Mezzosopran, an der Bienen Musikhochschule in der Northwestern Universität, USA, teilt die Verantwortung für die Ausbildung von Sängern. Während ihrer Studienzeit am Luther College war Karen Brunssen Mitglied des Nordic Choir, und 2013 wurde ihr die Weston Noble Auszeichnung verliehen. Als Sängerin wirkte sie im Lauf von 30 Jahren überall in den Vereinigten Staaten und in Europa. Aufsätze vom Februar 2010 und von 2017 in der Zeitschrift des Verbandes der Amerikanischen Chorleiter beschreiben Stimmtechniken, mit denen man das Beste aus den Stimmen aller Altersgruppen herausholen kann – Techniken, die auf der Kenntnis der Verschiedenheit der Entwicklung der menschlichen Atmung, Schwingungen und Resonanz begründet sind. Sie hat Vorträge anlässlich der Zentral-Regionalen Konferenz des Verbandes der Amerikanischen Chorleiter im Jahr 2016, 2015 bei der landesweiten Konferenz dieses Verbandes, und 2014 und 2012 bei landesweiten Konferenzen des Verbandes der Gesangslehrer gehalten. Gastdozentin war sie u. a. an der Universität Cambridge und der Zürcher Sing-Akademie. Sie ist Mitglied der angesehenen Amerikanischen Akademie der Gesangslehrer und die nächste Präsidentin des Landesverbandes der Gesangslehrer. E-mail: kabrunssen@gmail.com
Übersetzt aus dem Englischen von Irene Auerbach, Vereinigtes Königreich