Den Sängern in die Gurgel Schreiben

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Hinter den sieben Bergen: Besuch beim Komponisten Wolfram Buchenberg im bayerischen Allgäu

 

Das Gespräch führte Arne Reul.

 

Die Musik von Wolfram Buchenberg etabliert sich immer stärker im Repertoire zahlreicher Chöre. Demnächst erscheint beim Chorlabel Spektral die erste ausschließlich ihm gewidmete CD mit Chormusik a cappella, die von Cantabile Regensburg unter Matthias Beckert eingesungen wurde. Ensembles, die auf der Suche nach anspruchsvoller zeitgenössischer Literatur sind, werden bei Buchenberg fündig, denn seine Stücke wie „Ich bin das Brot des Lebens“, „Von 55 Engeln behütet“, „Veni dilecte mi“ oder „Vidi calumnias et lacrymas“ finden ein begeistertes Publikum. Manche der reizvollen Volksliedbearbeitungen Buchenbergs wiederum, etwa „Kein schöner Land“, werden sogar von Chören in Amerika und Asien gesungen.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass der im Allgäu geborene Komponist die Chormusik gerade in Bezug auf den Klang so stark bereichert; lässt sich doch die Schönheit eines Bergpanoramas in gewisser Weise auch auf die vertikale Ebene der Musik übertragen – dorthin also, wo die Überlagerung von Stimmen Buchenberg zu raffinierten und reizvollen Chorklängen inspiriert. Die NEUE CHORZEIT traf den Komponisten in Marktoberdorf, wo er viele Wochen im Jahr verbringt, um sich konzentriert seiner kompositorischen Arbeit zu widmen.

 

Wolfram Buchenberg

 

Herr Buchenberg, viele Ihrer Werke sind Auftragskompositionen für Chöre. Wie fing das an?

Der erste Chor, für den ich geschrieben habe, war der Madrigalchor der Hochschule für Musik und Theater in München, in dem ich selbst zwölf Jahre lang mitgesungen habe. Ich wusste genau, was dieser Chor musikalisch bewältigen konnte, und das habe ich entsprechend ausgenützt. In diesem Schwierigkeitsgrad bin ich auch ungefähr geblieben, also für ambitionierte oder semiprofessionelle Chöre.

 

Die direkte Zusammenarbeit mit den Chören kann neue Impulse in das Chorleben hineinbringen. Kommen die Chöre oder Chorleiter auf Sie zu? Wie funktioniert das?

In der Regel meldet sich ein Chorleiter bei mir und bittet um ein Stück für seinen Chor – häufig in Verbindung mit einem Konzert. Wenn ich Zeit habe und interessiert bin, will ich zunächst wissen, was das für ein Chor ist und was ich dem abverlangen kann. Ich möchte einen Chor kennen lernen, denn ich muss ihm ja auch was komponieren, was er singen kann. Ich muss es schaffen, den Sängern so in die Gurgel zu schreiben, dass sie weder übernoch unterfordert, sondern herausgefordert sind. Im Normalfall gehe ich an die obere Kante dessen, was ein Chor leisten kann. Wenn ich einen Chor wirklich stark fordere, dann muss er sich auch anstrengen, er lernt dabei und ist hinterher auch ein bisschen stolz.

 

Sind Sie bei den Proben auch anwesend?

Wenn sich das anbietet, fahre ich gerne mal zu den Proben, weil ich dann Rückmeldung bekomme. Dann kann ich auch in das Stück so ein bisschen hineinsehen und erfahre, wo es eventuell klemmt und wo sich Leute schwer tun. Auch für spätere Stücke ist es für mich interessant, ein Feedback zu haben.

 

Viele Ihrer Stücke sind für die Chöre unglaublich dankbare Literatur. Es gibt in Ihrer Musik zum einen dieses Gesangliche, wo sich die Sänger richtig hineinlegen können in das Melos…

Ich denke, es gibt in meiner Musik immer Anknüpfungspunkte zur älteren Chorliteratur. Ich will eine Musik schreiben, die immer sanglich und sangbar ist, ich verlange nichts, was unangenehm oder gar stimmschädigend wäre. Wenn ich komponiere, probiere ich alles selber aus. Was ich mir selber beim Singen nicht zumuten würde, das mute ich auch keinem Chor zu. Dann gibt es aber auch Techniken, die man in traditioneller Chormusik nicht so findet. Allein von den Klängen her, die anders sind, als vor 100 Jahren. Aber auch Stimmführungen mit auseinanderdriftenden Klängen, wo jeder Chorsänger individuell und unabhängig vom Nachbarn singt.

 

Dann wieder finden sich rhythmisch ausgesprochen anspruchsvolle Passagen.

Was die Komplexität anlangt, versuche ich einen Ausgleich zu schaffen. Wenn die Harmonik schwierig ist, dann versuche ich innerhalb dieser Harmonik die Stimmführung einfacher zu halten, um trotzdem die Sache auch für Nichtprofis machbar zu halten. Denn wenn ich mich gleichzeitig auf jeder Ebene – rhythmisch, harmonisch, melodisch – extrem komplex verhalte, dann brauche ich wirklich Profichöre, die nichts anderes tun, als solche Musik zu singen. Mein Anliegen ist gewissermaßen ein gutes Verhältnis zwischen der Schwierigkeit der Musik und ihrer Wirkung. Eine Musik darf schon schwierig sein, dann muss sie aber auch einen entsprechenden Effekt haben. Eine Musik die nur schwierig ist, aber nicht gut klingt – was soll das?

 

Sie komponieren auch für Kinderchöre. Da gibt es tolle Stücke, etwa die „7 Zaubersprüche für Mädchenchor“, „Silere et audire“ oder das lauttextliche „Gulla, mille gullala bena“.

Ich schreibe nicht so gerne für Kinderchöre, muss ich zugeben, denn das ist wirklich schwierig. Am Leichtesten ist es, für Profichöre zu schreiben, denen kann man im Prinzip alles zumuten. Da kann ich, salopp gesagt, drauflos schreiben, wie es gerade kommt. Aber je weniger versiert die Chöre sind, desto schwieriger wird es. Übrigens auch, mir selbst noch treu zu bleiben, denn mir schwebt ja doch eine bestimmte Klangsprache vor. Für Kinderchöre Musik zu schreiben, die spannend, aber noch machbar ist, ist wirklich die Quadratur des Kreises.

 

Auffallend ist, dass Sie häufig Bewegungselemente für den Kinderchor mit einbauen – gleichzeitig gibt es Stücke, die rhythmisch sehr vertrackt sind.

Ich denke, dass Kinder häufig zu viel rumhocken und dass man sie deswegen auch körperlich beschäftigen sollte. Kinder müssen ihren Bewegungsdrang ausleben und ihnen dazu Gelegenheit zu geben, finde ich wichtig. Manche Kinder schaffen es kaum, auf einem Bein zu stehen, anderen fällt es zunehmend schwer, ihre Körperbewegungen überhaupt zu koordinieren! Trotzdem denke ich, dass man Kinder nicht unterschätzen sollte. „Silere et audire“ hat einen lateinischen Text, der von Anselm von Canterbury stammt. Wenn man Kindern dazu einen Zugang vermittelt, kann man ihnen auch schwierigere Texte zumuten. Zumindest können sie atmosphärisch etwas mitkriegen. Ich glaube, solche meditative Phasen sind für Kinder genauso wichtig wie die Möglichkeit, sich rhythmisch ausleben zu können, etwa bei dem sehr sprachrhythmischen Stück „Gulla, mille gullala bena“.

 

Stichwort Anselm von Canterbury: Etwa die Hälfte Ihrer Chormusik ist geistliche Musik. Welchen Zugang haben Sie hier?

Es gibt gute geistliche Texte, die mir etwas sagen, da finde ich es dann ganz natürlich, die auch zu vertonen. Viele der Texte, die ich schätze, sind kaum bekannt, etwa von Meister Eckhart oder eben Anselm von Canterbury. Sie bekommen durch meine Musik auch einen größeren Zuhörerkreis. So etwas finde ich meist interessanter als noch einmal ein Magnificat zu vertonen.

 

Sie bearbeiten auch Volkslieder für Chor. Wie würden Sie das in Ihrem Schaffen einordnen?

Da hängt für mich jetzt nicht so viel Herzblut dran. Ich mache es einerseits gern, weil ich Folklore und Volkslieder mag, aber letztlich ist es doch eine eher handwerkliche Aufgabe, die unter erheblich weniger Zweifeln vonstatten geht als das eigentliche Komponieren. Manche dieser Bearbeitungen sind auch für die Schul- oder Jugendchorpraxis entstanden, das ist sozusagen mein praktischer Dienst an der Menschheit. (lacht) Aber ich freue mich schon, dass „Kein schöner Land“ so viel gesungen wird. Vielleicht gibt es ja Leute, die mich nur von diesem Stück her kennen. Manchmal denke ich, wie musste sich Carl Orff gefühlt haben, da die Leute eigentlich nur seine „Carmina Burana“ kennen. Das ist schrecklich! Wenn du ein ganzes Lebenswerk hinterlässt und dann wird eigentlich nur ein Werk zur Kenntnis genommen. Ich hoffe, dass mir das mit „Kein schöner Land“ nicht passiert … Aber egal, ob dies nun ein japanischer, englischer oder koreanischer Chor singt, wichtig ist für mich eigentlich nur, dass die das gut machen. Auch wenn man natürlich bei der Sprache ein paar Abstriche machen muss.

 

Im Grunde bieten Volksliedbearbeitungen den Chören auch Gelegenheit, sich über ein vertrautes Stück indirekt der neuen Chormusik zu nähern.

Da man die Melodie zumindest schon kennt, fällt die Schwellenangst so ein bisschen weg. Aber auf der anderen Seite: Man sagt immer, die Leute haben Angst vor zeitgenössischer Musik. Ich erfahre das genaue Gegenteil! Schauen Sie sich doch mal in den Programmen des Marktoberdorfer Kammerchorwettbewerbs um – viele erwarten, dass man zeitgenössische Chormusik singt und wenn die nicht kommt, sind die Leute enttäuscht. Wenn die Musik gut aufgeführt wird, kann man mit zeitgenössischer Musik einen viel besseren Eindruck machen, als mit altbekannten Stücken. Ich bin mir ganz sicher, dass sich die Qualität eines Chores verbessert, wenn er sich mit zeitgenössischer Musik auseinandersetzt.

 

Ihr jüngstes Chorstück „Tombeau de Josquin Desprez“ ist für 16-stimmigen Chor.

Das ist ein Stück, das ich zunächst aus eigenem Antrieb begonnen habe. Ich bin über den Text gestolpert und da wollte ich ein 16-stimmiges Stück draus machen. Aber wenn man keinen Auffüh rungstermin hat, dann bleibt so ein Stück zehn Jahre liegen… Als dann von Martin Steidler vom Heinrich-Schütz- Ensemble Vornbach die Anfrage für ein Werk kam, habe ich gesagt, ich mache das, wenn es dieses 16-stimmige Chorstück sein darf, das ich endlich fertig schreiben möchte. Dass nun das Stück gemeinsam mit dem Via-Nova-Chor München uraufgeführt wurde, war ein ideales Zusammenspiel.

 

Was bedeutet es für den Umgang mit Klang, für 16 Stimmen zu komponieren?

Wenn man für 16-stimmigen Chor komponiert, muss man zunächst sehr viel mehr Pausen schreiben! (lacht) Man kann ja nicht durchgängig 16-stimmig schreiben. Ich nutze lieber an bestimmten Stellen bewusst die Gelegenheit, alle Leute singen zu lassen, als Steigerungsmittel. Man hat außerdem die Chance, den musikalischen Ablauf stärker auf mehrere Stimmen zu verteilen. So kann ein Stück für einen Chor durch Vielstimmigkeit sogar leichter werden, denn eine Stimme braucht z.B. keinen schwierigen Sprung zu bewältigen. Den kriegt dann die nächste Stimme.

 

Dieses Stück hat faszinierende Klangflächen, es ist gleichzeitig eine sehr ergreifende Musik.

Das will ich doch hoffen! (lacht) Die 100 Sängerinnen und Sänger dieser beiden Chöre waren schon sehr beeindruckend. Wenn dann so ein Klangkörper bei einer bestimmten Stelle, wo es wirklich 16-stimmig wird, gleichzeitig singt und wenn sich Klänge andersherum wieder aufdröseln, hat das schon eine unglaubliche klangliche Wucht. Wenn das jetzt ein deutlich kleinerer Chor singen würde, müsste der schon sehr gut sein, um diese Klangfülle noch hinzubekommen.

 

Liegt für Sie hier auch die Faszination, für Stimmen zu schreiben?

Die Stimme an sich ist es! Nichts kann andere Menschen so ansprechen wie die Stimme mit ihren Ausdrucksmöglichkeiten. Allein die Tatsache, dass gesungen wird, richtet sich unmittelbar an ein Gegenüber. Das hat die Stimme einem Instrument voraus. Wir sprechen jetzt miteinander – das geht über die Stimme. Dabei teilt sich auch ganz viel unbewusst mit, zum Beispiel Spannungszustände. Wie ich spreche und in welcher Tonlage ich spreche, mache ich mir ja häufig gar nicht bewusst, aber ständig beeinflusse ich damit andere oder ich werde beeinflusst. Ich glaube sogar, dass die Stimme eine heilende Wirkung haben kann, allein durch Zuhören. Wenn man manchen Leuten zuhört, geht es einem gut, egal was die sagen – nur in der Art wie sie sprechen. Das hat ein bisschen therapeutische Qualität.

 

Erstmals im Mai 2012 in NEUE CHORZEIT veröffentlicht

 

Wolfram Buchenberg

Wolfram Buchenberg, 1962 im Oberallgäu geboren, gehört zu den profiliertesten Komponisten für Chormusik in Deutschland. Gut die Hälfte seines Œuvres nimmt dabei die Vokalmusik ein. Buchenberg sammelte seine ersten wichtigen musikalischen Erfahrungen in den Chor- und Instrumentalensembles des Gymnasiums Marktoberdorf. Danach studierte er Schulmusik und Komposition an der Hochschule für Musik und Theater in München, wo er mittlerweile auch selbst Ensembleleitung und schulpraktisches Klavierspiel unterrichtet. Mit dem renommierten Madrigalchor der Hochschule, dem er auch viele Jahre als Sänger angehörte, feierte Buchenberg seinen ersten wichtigen Kompositionserfolg: 1993 gewann dieser Chor mit den eigens für ihn konzipierten Stücken „Beschwörung“ und „Störung“ beim internationalen Chorwettbewerb „Let the peoples sing“ der BBC in London den ersten Preis in der Kategorie Zeitgenössische Chormusik. Seitdem interessieren sich viele Chöre für den Komponisten und geben bei ihm Stücke in Auftrag. Durch die enge Zusammenarbeit mit den Ensembles gelingen dem Künstler ausdrucksstarke Stücke, die sich in der Musikpraxis ambitionierter Laienchöre vorzüglich bewähren. Buchenberg schreibt eine moderne und anspruchsvolle Musik, die nie ins Theoretische abdriftet und oft ein starkes emotionales und körperliches Erleben freisetzt. Email: wolfram.buchenberg@gmx.de

 

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Edited by Graham Lack

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