Ein Interview mit H. Royce Saltzman
von Kathy Saltzman Romey, Direktorin für Choraktivitäten an der Universität Minnesota und Künstlerische Leiterin des Minnesota Chorale
Mein ganzes Leben lang habe ich das Glück gehabt, viele wunderbare Lehrer, Ratgeber und Mentoren zu haben. Ein ganz besonderes Glück für mich war, dass mein Vater – H. Royce Saltzman – alles drei war. Seine Arbeit als Dirigent, Mitbegründer und Exekutivdirektor des Oregon Bach Festivals, ehemaliger nationaler Präsident der ACDA sowie Gründungsmitglied und ehemaliger Präsident der Internationalen Föderation für Chormusik hat tiefen Einfluss auf mein Leben und meine Karriere in der Chormusik gehabt, und nicht nur auf mein Leben, sondern auf das zahlloser anderer Menschen in der heutigen Chorwelt. Durch seine Vision, sein Können, sein diplomatisches Geschick, seine Leidenschaft, sein Pflichtgefühl und sein Engagement ist mir klar geworden, welche bedeutende Rolle die Chormusik in der Gesellschaft spielen kann, um die Verständigung zwischen den Völkern und Kulturen zu fördern.
Romey: Wie entstand dein Interesse in der Chormusik?
Saltzman: Als kleiner Junge in Abelene, Kansas, gehörte ich zu einer Kirche, in der keine Musikinstrumente im Gottesdienst geduldet waren. Die Gemeinde sang vierstimmige Hymnen unbegleitet, mein Vater war der Vorsänger. Fast jede Woche kamen Menschen zu uns nach Hause, um gemeinsam zu singen… Quartette, Oktette, usw. Diese « Versammlungen » waren wichtige gesellschaftliche Ereignisse, die das Kino und das Tanzen ersetzten, denn die waren ebenfalls nicht von der Kirche zugelassen. So wuchs ich mit grossem Verständis und grosser Liebe für die Vokalmusik auf. Singen ist seit meiner Kindheit und bis jetzt Teil meines Lebens.
Romey: Gab es besondere Menschen in deinem Leben, die dein Interesse für die Chormusik gefördert haben?
Saltzman: Meine Eltern natürlich. Aber drei weitere Personen waren meine Mentoren: die Dirigenten Earl Miller am Messiah College und Mary Oyer am Goshen College; beide haben großen Wert auf die a cappella Tradition gelegt. Und Charles Hirt an der University of Southern California. Der Einfluss dieser drei Menschen hat meine Begeisterung für die Chorkunst vertieft und in mir den Wunsch erweckt, Dirigent, Lehrer und Manager zu werden.
Dieser Wunsch festigte sich an der USC, wo Charles Hirt viele Türen für mich geöffnet hat – ich war sein Assistent beim Dirigieren, Unterrichten und im Management – die Grundlage für meine späteren Führungsrollen. Er war mein Vorbild, der tägliche Spiegel für die Art Musiker, der ich sein wollte und werden musste. Ich bin im wahren Sinn seine “Fortsetzung”, eine Erinnerung daran, dass jeder von uns die einzigartige Gelegenheit hat, diejenigen zu beeinflussen, mit denen wir arbeiten. Es ist eine sehr ernst zu nehmende Berufung, denn die Wirkung auf das Leben unserer Studenten und Sänger kann den Grundstein bilden, auf den sie ihre Lebensarbeit aufbauen.
Romey: Ein grosser Teil deiner Karriere hat aus Management bestanden. Wann hast du mit Musikmanagement angefangen, und wie hast du das notwendige Können dafür erworben?
Saltzman: Mein ersten richtigen Erfahrungen habe ich an der USC gemacht. Als Charles Hirt ein Sabbatical nahm, war ich eine kurze Zeit lang Interimsleiter der Abteilung Kirchenmusik. Später war ich elf Jahre lang stellvertretender Leiter und Koordinator für das Graduiertenprogramm der Musikfakultät der Universität Oregon und einundzwanzig Jahre lang Leiter der Sommerkurse.
An der Universität war ich in der Hauptsache Lehrer und Dirigent, ich fand aber die schöpferische Seite des Managements auch lohnend. Die Möglichkeiten für Innovation und Einfallsreichtum waren reizvoll. Ich fand, dass ich nicht nur im Klassenzimmer und auf dem Podium etwas bieten konnte, sondern auch durch die Entwicklung von Programmen zur Förderung der Chormusik. In dieser Zeit fing ich auch an, mich für eine leitende Rolle bei der ACDA zu interessieren. Und die erste Saat für das Oregon Bach Festival wurde gesät.
Wie habe ich das notwendige Können dafür entwickelt? Das Wichtigste waren die neuen Ideen – und Wege zu finden, diese durchzusetzen: mit etwas Neuem zu beginnen und es bis zur Reife bringen. Die Geburt war oft schwierig, aber das Ergebnis bei Erfolg äusserst lohnend. Natürlich hat es auch Misserfolge gegeben. Mir haben jedoch die Herausforderungen Spass gemacht, und so war mein Weg im Management vorgezeichnet!
Romey: Wann warst du Präsident der ACDA und was war von Bedeutung in dieser Zeit?
Saltzman: Ich war von 1979-1981 Präsident. Mehrere Dinge geschahen während dieser Zeit, von denen ich glaube, dass sie zur Leistungsfähigkeit der ACDA beigetragen haben.
Colleen Kirk und ich waren der Meinung, dass die Führung in der Organisation auf nationaler, regionaler und Bundesstaatsebene ihre Rolle und Verantwortung nicht recht verstand, d.h. was von ihr in ihren jeweiligen Positionen erwartet wurde. In vielen Fällen wurde einfach ein Schuhkarton voll Korrespondenz an den Nachfolger übergeben. Einfach ausgedrückt, es gab weder Richtlinien noch eine Stellenbeschreibung, um die Leistungsfähigkeit oder Produktivität zu gewährleisten.
Mit Unterstützung des nationalen Sekretariats und einem Zuschuss vom National Endowment for the Arts fand die erste Führungskonferenz der ACDA an der Cameron Universität in Lawton, Oklahoma, statt. Es gab Workshops über Finanzen, Führung, Rundschreiben, eine Sitzung über die ACDA als nationale Organisation und vieles mehr. Es war ein Meilenstein für die Stärkung der Führung des Verbands. Heutzutage ist die Leadership Conference Teil der ACDA Struktur.
In meiner Kolumne des Präsidenten im Choral Journal setzte ich mich für die Schaffung eines ACDA Archivs ein.1 Walter Collins nahm die Idee auf und wurde zur treibenden Kraft bei der Verwirklichung.2 Ich habe auch die Schaffung eines Stiftungsfonds vorgeschlagen, um die finanzielle Sicherheit der ACDA zu gewährleisten. Gene Brooks hat ihn in Gang gebracht.3 Für mich war auch die Aufnahme eines internationalen Dialogs mit Kollegen und Organisationen wesentlich.
Die umstrittendste Entscheidung war wohl die Teilung der schnell wachsenden North Central Division (Region Nord-Zentrum) in zwei geografische Einheiten: North Central und Central. Es war eine heiße Debatte, bei der die Emotionen auf beiden Seiten hohe Wellen schlugen. North Central besass eine starke Führung, eine wachsende Mitgliedschaft und Programme von hoher Qualität. Warum sollte man also die Familie zerschlagen? Wachstum und geografisches Ausmaß machten dies erforderlich. Die North Central Division wurde von zehn auf sechs Staaten verringert und Central erhielt vier. Dreißig Jahre später hat sich das Wort “Weniger ist mehr” offenbar bewahrheitet.
Romey: Was war deine Rolle bei der Gründung der Internationalen Föderation für Chormusik (IFCM)?
Saltzman: Die Idee einer internationalen Organisation zur Förderung der Zusammenarbeit und des Austauschs zwischen Chören, Bildungstätten und nationalen Organisationen war von zahlreichen Chor-Persönlichkeiten schon längere Zeit diskutiert worden. Ich habe an Sitzungen in Luzern (1979) und im folgenden Jahr in Paris teilgenommen, auf denen über das Thema gesprochen wurde.
Auf dem nationalen Kongress der ACDA in New Orleans 1981 habe ich ein Chorgipfeltreffen organisiert, an dem Persönlichkeiten aus dreizehn Ländern teilnahmen:
Robert Solem (Kanada); Ma Ge-shun (China); Waldo Aranguiz (Chile); Marcel Corneloup, Marcel Couraud, Claude Tagger (Frankreich); John Poole (Grossbritannien); Christoph Kühlewein, Walter Weidmann, Herbert Sass, Paul Wehrle (Deutschland); Takashi Iijima, Kan Ishi (Japan); Oriol Martorell (Spanien); Eskil Hemberg (Schweden); Willi Gohl (Schweiz); Vialimirov Sokolov (UdSSR); Alberto Grau (Venezuela); James Bjorge, Gene Brooks, Walter Collins, Maurice Casey, Charles Hirt, Colleen Kirk, and Russell Mathis (USA).4
Es wurde über Themen gesprochen wie Konzerttourneen, Aus- und Weiterbildung, Austausch von Informationen und Material, jedoch in der Hauptsache über die Möglichkeit der Gründung einer internationalen Organisation für Zusammenarbeit und Austausch. Es herrschte eine elektrische Stimmung, die am besten in einem Brief von Charles Hirt an den Verleger Don Hinshaw beschrieben worden ist:
Diese Tage waren mit brennender Begeisterung und einem Gefühl des Schicksalhaften erfüllt, mit der Erkenntnis, was eine Welt des gemeinsamen Singens erreichen könnte, ohne Druck der Politik oder von kleinmütigen Geistern. Nie werde ich die letzten Augenblicke vergessen, als beim Abschied Walter Collins von hinten im Saal den Kanon Dona Nobis Pacem anstimmte, und wie sich nach und nach der ganze Raum mit Gesang und unsere Augen mit Emotion füllten. 5
Später hatte ich den Vorsitz eines Interimausschusses, der in Loughborough, England, zusammenkam, um 1. eine Satzung zu entwerfen, 2. einen Namen zu finden, der die weltweite Bestimmung anzeigte und 3. Gründerorganisationen zu bestimmen, die dieser neuen Allianz Rückhalt und Geltung verschaffen würden. So wurde 1982 das Kind IFCM aus der Taufe gehoben.
Romey: Du warst in den frühen Jahre Präsident der IFCM. Wann war das und was war von Bedeutung in dieser Zeit?
Saltzman: Paul Wehrle (Deutschland), ein Visionär und langjähriger Befürworter einer Weltchororganisation, war von 1982-85 der erste Präsident der IFCM. Ich war sein Nachfolger und Präsident für acht Jahre, und dann noch einmal Interimspräsident nach dem Tod des damaligen Präsidenten Claude Tagger (Frankreich). Weitere Präsidenten waren Maria Guinand (Venezuela), Eskil Hemberg (Schweden), Lupwishi Mbuyamba (Mozambique), und jetzt ist Michael Anderson (USA) Interimspräsident. Die Mitglieder des IFCM-Vorstands und Präsidiums kommen aus neunzehn Ländern und die des Beirats aus fünfzehn Ländern.
Was war bedeutend während meiner Präsidentschaft?
Erstens: In den frühen Jahren der IFCM war eine der wichtigsten Aufgaben, Beziehungen zu gleichgesinnten Führungspersönlichkeiten in der ganzen Welt aufzubauen, mit Kollegen, die verstanden, dass Singen die Kraft besitzt, Menschen zusammenzuführen ohne Rücksicht auf unterschiedliche kulturellen Hintergründe, politische Ansichten, Religion, Sprache oder Rasse, Menschen, die verstanden, dass wir gemeinsam mithilfe der IFCM auf der Welt und in unseren eigenen Ländern einen Unterschied machen können. Meine Aufgabe war im wahren Sinne der Wortes die eines Botschafters.
Zweitens: Ich habe die Gelegenheit geschätzt, in dem kreativen Planungsprozess von drei Weltchorsymposien mitzuwirken, Wien, Stockholm und Vancouver. Wien war schwierig, weil wir mit dieser Planung Neuland betraten. Stockholm drei Jahre später – mit Nebenprogrammen in Estland und Finnland und mit Christian Ljunggren als Verantwortlichem vor Ort – war aufregend. Es gab Konzerte mit dem Schwedischen Rundfunkchor, dann das Requiem von Brahms mit dem Staatschor der UdSSR, dem Weltjugendchor, der Schola Cantorum de Caracas, dem Arnold Schönberg Chor und dem Schwedischen Rundfunkorchester unter Leitung von Robert Shaw. In Estland fand eine Chorwanderung mit dem Estnischen Kammerchor durch Tallinn statt, und in Finnland dirigierte Krzysztof Penderecki sein Polnisches Requiem mit dem Finnischen Rundfunkorchester, den Dale Warland Singers, dem Suomi Kammerchor (Finnland) und dem Kammerchor Ave Sol (Lettland). Es war ein Welttriumph! In Vancouver habe ich mit einem fantastischen Planungsstab vom Chorverband von British Columbia arbeiten können, und wir haben zum ersten Mal einen Chor aus der Volksrepublik China und einen Kammerchor aus Kuba, Exaudi, vorgestellt. Diese Symposien waren wirklich grundlegend für die später folgenden.
Romey: Was gehört zu den wichtigsten Beiträgen der IFCM zur Chorkunst?
Saltzman: Ganz eindeutig die alle drei Jahre stattfindenden Weltchorsymposien: Das erste in Wien (1987), dann Stockholm (1990), gefolgt von Vancouver (1993), Sydney (1996), Rotterdam (1999), Minneapolis (2002), Kyoto (2005), Kopenhagen (2008) und 2011, Puerto Madryn, Argentinien. Diese siebentägige Veranstaltung mit Konzerten, Workshops und Master Classes spricht eindeutig für die Ziele der Föderation. Sie bietet eine globale Übersicht über die Chormusik, die man nirgendwo sonst findet.
Weitere wichtige Leistungen sind der Weltjugendchor, das International Choral Bulletin (die offzielle Mitgliedszeitschrift der IFCM), der World Choral Census (eine Liste der führenden Chorpersönlichkeiten und Organisationen in der Welt), MUSICA International (eine Datenbank mit 156.000 Titeln Chorrepertoire), Ausschüsse, Songbridge (ein Forum für Kinder- und Jugendchöre), der Weltchortag und die Chormusikreihe Cantemus mit internationalem Chorrepertoire.
Heute hat die IFCM etwa zweitausend Mitglieder auf der ganzen Welt, die in vier Kategorien aufgeteilt sind: Einzelmitglieder, Chöre, Organisationen und Unternehmen. Die IFCM vertritt die Chormusik offiziell beim Internationalen Musikrat der UNESCO.
Romey: Das Oregon Bach Festival (OBF) feiert dieses Jahr ein wichtiges Jubiläum. Wie entstand das Festival und wie hat es sich in den letzten vierzig Jahren entwickelt?
Saltzman: Es ist kaum zu glauben, dass das Oregon Bach Festival 2010 schon vierzig Jahre alt ist, eine Veranstaltung, die eigentlich nie derart geplant war, sich aber über die Jahre so entwickelt hat.
1968-69 war ich Leiter des Internationalen Zentrums für Musikerziehung der Universität Oregon, dessen Schwerpunkt Kirchen- und Chormusik war. Die Studenten waren an der Universität Oregon eingeschrieben, die Kurse fanden jedoch an der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg, Deutschland, statt. John Haberlen, ehemaliger Präsident der ACDA, gehörte zu diesen Studenten. In diesem akademischen Jahr lernte ich Helmuth Rilling kennen, einen fast unbekannten schwäbischen Chorleiter aus Stuttgart.
Im darauf folgenden Jahr legten wir, zwei junge Chordirigenten, nämlich Helmuth Rilling und Royce Saltzman, die Saat aus für das, was einmal ein Sommerfestival werden würde. Diese erste eher unaufällige Veranstaltung enthielt zwei wesentliche Bestandteile: Fortbildung und Aufführung. – Master Classes für Berufsmusiker und Gesprächskonzerte für Laienmusiker und Publikum und eine Konzertreihe mit Schwerpunkt Bach als Krönung.
Zwar liegt der Schwerpunkt immer noch bei Bach, jedoch sind auch Werke von Komponisten wie Brahms, Beethoven, Haydn, Monteverdi, Mozart, und Verdi zur Aufführung gekommen. Musik lebender Komponisten ist ebenfalls immer wichtig gewesen. 1994 hat Arvo Pärt für das Festival Litanei komponiert. Osvaldo Golijov hat 1996 die Kantate Oceana geschrieben. 1998 erhielt Krzysztof Penderecki den Auftrag, ein Credo zu schreiben, eine Zusammenarbeit mit der Internationalen Bachakademie Stuttgart (IBA). Die Tonaufnahme erhielt die Auszeichnung der besten Choraufführung bei der 43. Grammy Awards Zeremonie. Und 2009 gab es eine weitere Zusammenarbeit mit der IBA: Sven David Sandströms Messias.
Es war mein großes Glück, über all diese Jahre mit Helmuth Rilling zusammen arbeiten zu dürfen. Er ist ein vollendeter Musiker, Meisterpädagoge und hervorragender Dirigent – ein Genie der Kommunikation durch seine Gestik und Textdeutung. Persönlich ist er ein hoch geschätzter Freund. Die Tatsache, dass Rilling über vierzig Jahre lang künstlerischer Leiter und Dirigent des Festivals geblieben ist, spricht für das immer noch gültige Engagement für die wichtigsten Grundsteine des Festivals: Fortbildung und Aufführung.
Romey: Erkläre die pädgogische Komponente des Oregon Bach Festivals und warum das Festival sich so stark für dafür einsetzt
Saltzman: Das Festival ist juristisch gesehen an eine Bildungsstätte gebunden, nämlich an die Universität Oregon. Seine beiden Begründer sind Lehrer und Dirigenten. So ist es nur angemessen, dass die Bildung eine vorrangige Stellung unter den Aufgaben der Organisation einnimmt.
Ich habe oft gesagt, dass Bildung der eigentliche Herzschlag des OBF ist. Von Anfang an hat Helmuth Rilling eine Dirigiermeisterklasse angeboten, an der über die Jahre Dirigenten aus über dreißig Ländern teilgenommen haben. Die 85 Stimmen starke Stangeland Family Youth Choral Academy unter Leitung von Anton Armstrong besteht seit dreizehn Jahren und zieht Sekundarschüler aus den gesamten Vereinigten Staaten an, und dieses Jahr zum ersten Mal auch aus Russland. Die Discovery Series mit Rillings Gesprächskonzerten richtet sich vor allem an das Publikum und bietet den Dirigenten der Masterclasses Gelegenheit, selber zu dirigieren. An den InChoir Sessions kann jeder teilnehmen, der die grossen Meisterwerke zusammen mit dem 54 Stimmen starken professionellen Festivalchor singen möchte. Die Elementary School Music Initiative ermöglicht einen täglichen Kontakt mit klassischer Musik in den Grundschulen. Dann gibt es noch die Hinkle Lectureship, die Reihe Let’s Talk und die Inside Line Vorträge vor den Konzerten, alle Teil der pädagogischen Komponente, die ein Grundwert des Festivals ist.
Ich bin äußerst stolz darauf, dass das Festival Leben ändert. Zwar hat es viele unvergessliche Aufführungen gegeben, aber Rilling und ich haben immer wieder betont, dass das Wichtigste bei unserem Musizieren und unserem Bildungsangebot der Einfluss auf das Leben der Menschen ist. Darauf ist das Festival aufgebaut, und das ist das Erbe, das wir hinterlassen möchten.
Romey: Vor kurzem bist du als Exekutivdirektor des OBF zurückgetreten. In wieweit bleibst du weiterhin mit dem Festival verbunden, und wie siehst du dessen Zukunft?
Saltzman: Ein Wechsel in der Führung kann schwierig sein. Ich freue mich und bin dankbar, dass mein Nachfolger, Dr. John Evans von der BBC 3 in Großbritannien, Präsident und Exekutivdirektor des OBF geworden ist. Auf seine Bitte hin bin ich Präsidumsmitglied des Festivals. Das Beste, was in diesem Jahr passiert ist, ist die Tatsache, dass wir unser Ziel von zehn Millionen Dollar für unseren Stiftungsfonds erreicht haben. Es ist ein dankbares “Amen” nach einem der bedeutungsvollsten Abschnitte in meinem Leben. Änderungen sind unabdingbar. Das OBF ist und bleibt in guten Händen. Als Direktor Emeritus ist es wichtig, dass ich meine Rolle kenne: Berater, wenn erforderlich, Fürsprecher immer, und hilfreicher Förderer wenn möglich.
Romey: Im Rückblick auf deine Karriere, wie hast du die vielen Aufgaben mit deinem Familienleben in Einklang gebracht?
Saltzman: Ich glaube nicht, dass mir das gut gelungen ist. Ich habe zugelassen, dass die Berufsanforderungen mit ihrem unersättlichen Appetit für Zeit und Energie meine Pflichten als Gatte und Vater überschattet haben. Viele Jahre lang hat meine Frau Phyllis die Elternrolle bei unseren vier Töchtern alleine wahrgenommen, währenddessen ich mich auf den Unterricht an der Universität Oregon und das Dirigat an der episkopalischen Kirche St. Mary, die Arbeit für das OBF und die Führungsrollen innerhalb der ACDA konzentriert habe. Nachdem ich dann vom Unterrichten ins full-time Management übergewechselt bin, erforderte das OBF mit seinen zahllosen Planungssitzungen und die Entwicklung der IFCM mit den vielen alljährlichen Reisen nach Übersee meine ganze Aufmerksamkeit. Die Bereitschaft von Phyllis, die Elternrolle in meiner Abwesenheit voll zu übernehmen und mich bei meiner Arbeit zu unterstützen, hielt die Familie in diesen Zeiten zusammen. Dazu kommt ihre Mitarbeit beim Festival, wo sie gesellschaftliche Ereignisse für Musiker und Geldgeber organisiert und mir geholfen hat, Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft aufzubauen, was ein wichtiger Faktor für den Erfolg des Festivals war. Heute geben die Töchter zu, dass die Abwesenheit ihres Vaters während ihrer Jugend ein teurer Preis dafür war. Und ich stimme ihnen zu. Ich habe meine Lektion gelernt, und sie sollte von meinen Kollegen, die Führungspositionen innehaben, ernst genommen werden.
Romey: Im Rückblick auf deine Erfahrungen in Musikerziehung und Management, welches sind für dich die Herausforderungen der neuen Chorleitergeneration in diesem Land?
Saltzman: die größten Herausforderungen sind, dass in den Schulen nicht mehr gesungen wird und dass das Konzertpublikum schwindet.
Einer neuen Untersuchung von Chorus America zufolge singen 32,5 Millionen Menschen in den USA in Chören, und wenn man die Kinder mitzählt, sind es 42,6 Millionen. Das klingt ermutigend! Andererseits ist es betrüblich, dass in den meisten Grund- und höheren Schulen das Singen wegen der Haushaltbeschränkungen nicht mehr Schulfach ist. Die Kinder können sich in der reinsten Form der Kunst, dem Singen, nicht mehr ausdrücken. Ein übler Wind bläst über unser Land, der eine mögliche Erosion vieles dessen mit sich bringt, was früher blühend war. Das Ergebnis hat nachhaltige Folgen für die Zukunft des Chorsingens. Ein bröckelndes Fundament bedroht die darauf aufgebaute Struktur. Die Herausforderung besteht darin, neue Wege zu finden, damit das Singen Teil des täglichen Lebens aller Kinder und Jugendlichen wird. Sie sind das Lebensblut für Chorprogramme in Sekundarschulen und Colleges. Ihre Beteiligung bestimmt, ob wir in Zukunft ein engagiertes Publikum für Chormusik haben. John F. Kennedy hat gesagt:
Lebendige Künste sind keine Störung oder Ablenkung im Leben einer Nation. Sie gehören zur Substanz einer Nation und sind ein Test für die Qualität ihrer Zivilisation.
Ich bewundere die Dirigenten, die außerhalb ihrer chorischen Pflichten im akademischen oder öffentlichen Leben eine Gelegenheit zum Chorsingen anbieten. Wenn wir die Chormusik aus unserem Bildungssystem ausklammern, dann sind Angebote in der Gemeinde lebenswichtig.
Romey: Wie sieht die Zukunft der Chormusik auf nationaler und internationaler Ebene von deinem jetzigen Standpunkt gesehen aus?
Saltzman: In unserem Zeitalter gibt es für Chorleiter in der ganzen Welt viele bisher völlig unbekannte Möglichkeiten, z. B. direkte Kommunikation durch E-Mail und Skype, einen größeren Zugang zu internationalem Repertoire der Verlage und Organisationen, z.B. durch MUSICA, mehr Aufführungsgelegenheiten weltweit sowie einen Zugang zu übersetzten und veröffentlichten Werken über unseren Beruf. Unsere Zeit misst sich nicht mehr in Entfernungen sondern in Beziehungen. Wir sind zu einer diversifizierten, erweiterten Gemeinschaft geworden, verbunden durch das uns Gemeinsame: die Chorkunst.
Was die Zukunft angeht, so ist es unerlässlich, dass wir unsere Horizonte erweitern und uns aktiv an der weltweiten Gemeinschaft beteiligen. Wir müssen Beziehungen aufbauen, die es jedem von uns und unseren Studenten und Sängern ermöglichen, internationaler Bürger der Tradition des Gesangs zu werden.
H.Royce Saltzman ist Direktor Emeritus des Oregon Bach Festivals, das er 1970 gemeinsam mit dessen künstlerischem Leiter Helmuth Rilling gründete. Unter seiner Führung entwickelte sich das Festival zu einem der angesehensten klassischen Musikfestivals der Vereinigten Staaten, das diesen Sommer (2010, Anm. der Übers.) sein 40. Jubiläum feierte. Saltzman erhielt sein Bachelordiplom am Goshen College, sein Masterdiplom an der Northwestern University und wurde an der University of Southern California promoviert . 1964 wurde er Professor an der University of Oregon, wo er später zwölf Jahre lang stellvertretender Leiter der School of Music war. Von 1979 bis 1981 war er nationaler Präsident der American Choral Directors Association und von 1985 bis 1993 Präsident der Internationalen Föderation für Chormusik. Saltzman war fünf Mal Ausschussmitglied des National Endowment for the Arts. Er ist Mitglied des Ehrenausschusses der Zimriya, (Weltversammlung der Chöre in Israel); er war Ehrenberater beim China International Choral Festival in Beijing, ehemaliges Präsidumsmitglied von Chorus America und Mitglied des Beirats der Academia Bach de Venezuela in Caracas. Zur Zeit ist er Präsidiumsmitglied der Internationalen Bachakademie Stuttgart. 1994 erhielt er das Verdienstkreuz am Bande, den höchsten Orden Deutschlands. Weitere Auszeichnungen: die Distinguished Service Awards der Universität Oregon (1996) und von Chorus America (2010) sowie Auszeichnungen als ehemaliger Schüler des Messiah College, des Goshen College, der Northwestern University und der USC Thornton School of Music. 1997 wurde er mit dem First Citizen Award der Stadt Eugene geehrt. Royce und seine Frau Phyllis haben im Juni ihr 58. Hochzeitsjahr gefeiert und leben in Eugene, Oregon. Sie haben vier Töchter, von denen Kathy Romey die älteste ist, und sieben Enkel. E-Mail: saltzman@uoregon.edu
1 The Choral Journal, “President’s Comments”, 6, February 1980
2 The Choral Journal, “President’s Comments”, 4, April 1981
3 The Choral Journal, “President’s Comments”, 6, January 1981
4 Sheila Pritchard, “International Federation for Choral Music: Background, Beginnings, and First Decade”. Doctoral Dissertation, 1994, Vol I, 135-6.
5 Ibid, p. 138.
Kathy Saltzman Romey ist Direktorin für Choraktivitäten an der Universität Minnesota, künstlerische Leiterin des Minnesota Chorale und Chorleiterin beim OBF. E-Mail: romey001@umn.edu
Veröffentlicht und übersetzt mit freundlicher Genehmigung des Choral Journal, wo das Interview zuerst in vol.51, n° 1, August 2010 erschienen ist.
Aus dem Englischen übersetzt von Jutta Tagger, Frankreich