Die Liederfabrik [La Fabbrica del Canto] 2011

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Drei Wochen voller Chormusik in der Lombardei, Italien

 

von Andrea Angelini, ICB Chefredakteur

 

Seit zwanzig Jahren ist der Juni immer ein ganz besonderer Monat für die Chormusik in der Lombardei, der italienischen Region, die sich vom Fluss Po bis zu den Alpen und der italienisch/schweizerischen Grenze erstreckt. 

In diesem Monat besuchen Chöre, die zu den besten der Welt gehören, die Lombardei und geben Konzerte in der ganzen Gegend, in vielen verschiedenen Orten, von den größten Städten bis zu kleinen Alpendörfern.

Dies ist das internationale Chorfestival “La Fabbrica del Canto”, das seit 1992 jedes Jahr in Legnano, einer kleinen Stadt in der Provinz Mailand, und der Umgebung stattgefunden hat.  Das Festival besucht Städte mit reichem kulturellen Erbe wie Bergamo, Brescia und Pavia, das flache Land des Po-Tals und die hohen Gipfel der Alpen.  Die Veranstaltung wird von der Jubilate Musikgesellschaft in Legnano organisiert.

 

Die Geburt einer Tradition

Im Jahre 1975 gründete eine Gruppe von Freunden den “Jubilate Chor” in Legnano, mit dem Ziel des Studiums und der Förderung der Chormusik.  Im Laufe der Jahre verfeinerte der Chor sein technisches Können und seine Konzertaktivitäten und prüfte seine Fortschritte, indem er sich bei Wettbewerben und Festivals dem Vergleich mit wichtigen Chören aussetzte, auf Landesebene wie auch international.

Diese Veranstaltungen boten den Mitgliedern des Chores die Gelegenheit, ihre Liebe zur Chormusik mit einem viel größeren Publikum zu teilen, und sie begannen, diesen ziemlich wenig bekannten Musikzweig in der ganzen Umgebung zu fördern.  So kam das erste Festival zustande: der Jubilate Chor organisierte es 1992.

Zuerst lief das Festival unter dem Titel “Internationales Chorfestival Stadt Legnano”, um sowohl die Verbindung zu Legnano, Heimat des Jubilate Chors und Hauptquelle der Zuschüsse für die Veranstaltung, als auch das internationale Image zu betonen, das das Festival charakterisieren sollte.  Darüber hinaus unterstrich die Beschreibung als “Festival” die Tatsache, dass es sich nicht in erster Linie um einen Wettbewerb handelte – zu einer Zeit, während derer Chorwettbewerbe das Hauptforum für die besten Chöre der Welt waren.

1997 wurde es in “Internationales Chorfestival ‘Liederfabrik’” umbenannt und lief als neues Projekt von Stapel.  Das Ziel dieses Projektes bestand darin, einen Konzert-“Rundverkehr” zu schaffen, auf welchem Gastchöre nicht nur in Legnano, sondern auch in Städten in der Nähe auftreten würden.  Die Genehmigung für dieses Projekt wurde vom Hauptamt und dem Kulturdirektor der Provinz Mailand sowie der Regionalregierung der Lombardei erteilt.  Diese Körperschaften gestatteten es dem Stadtrat von Legnano, das bereits zu den Förderern des Festivals zählte, die neue, ausgedehntere Initiative mit zu finanzieren.

Das Ziel dieses Konzert-“Rundverkehrs” bestand darin, das Festival in eine Veranstaltung in großem Rahmen umzuformen, so dass es sich nunmehr über einen Landstrich erstreckte, der kulturell nicht gut versorgt war. Es erreichte so ein viel breiteres Publikum.

Der neue Name des Festivals löste es von jeglichem bindenden geographischen Hinweis und gibt so den Charakter des Festivals besser wieder.  Das Wort “Fabrik” bringt nicht nur die Kreativität und die Energie zum Ausdruck, die jeder Kunstform zu eigen sind, sondern es verbindet Tradition und Modernität, indem es uns an vergangene Einrichtungen erinnert, wie Labor, Atelier und Workshop.  Dadurch wird eine soziale Dimension hinzugefügt, die nicht nur zeitgemäß, sondern der Bevölkerung vertraut ist, so dass ein lokales Element unterschwellig beibehalten, aber eine Eigenschaft, die besonders zum Chorsingen gehört, unterstrichen wird – die Geburt zeitgemäßer Kunstformen aus einer hundertjährigen Tradition.

Seit seinen Anfängen, im Laufe der zwanzig Jahre des Festivals, hat sich die “Liederfabrik” von vier auf 21 Tage ausgedehnt, von vier auf acht Chöre pro Festival, von vier auf 62 Konzerte, von einem auf 85 Säle in der ganzen Region, und das vergrößerte Einzugsgebiet spricht jetzt eine Bevölkerung von 2 400 000 an, gegen 54 000 zu Anfang. 

Das Wachstum des Festivals ist weitgehend seiner Beliebtheit beim Publikum zu verdanken – von 3000 Zuhörern 1992 auf 25 000 in 2011.  Dadurch wurde das Organisationskomitee, die Jubilate Musikgesellschaft von Legnano, das 1994 vom Jubilate Chor eingesetzt wurde, angespornt, die Veranstaltung Jahr für Jahr auszuweiten.

 

Eine einmalige Mischung

Das Muster, nach dem die Veranstaltung geplant wird, ist in der Welt der Chormusik einmalig.  Zum ersten bemüht man sich bei der Auswahl der sehr verschiedenen Chöre darum, dass so viele Arten mehrstimmiger Musik wie nur irgend möglich vertreten sind, um eine große Vielfalt der Klänge, Klangfarben, Ausdrucksarten, künstlerischer Interpretation und des Repertoires bieten zu können.  Der zweite Aspekt betrifft das Format des Festivals, da es aus thematisch gebundenen Konzerten, an denen alle Chöre teilnehmen, besteht: jeder teilnehmende Chor trägt ein kurzes Programm geistlicher oder weltlicher Musik bei.  Das erlaubt es dem Publikum, in einem einzigen Konzert eine weitgefächerte Vielfalt von Kulturen, Stilen und Klängen zu erleben.  Nach diesen Kostproben zum Anfang bieten alle Chöre in einer Reihe von Städten etwa eine Woche lang Konzerte an, die sie allein bestreiten. So erhält das Publikum die Gelegenheit, einen einzelnen Chor in Ruhe zu sehen und sein volles Repertoire zu hören.

Seit 2009 hat sich das Format ein wenig verändert: es besteht nunmehr aus zwei Hälften; für jede werden vier Chöre eingeladen, und am Wochenende in der Mitte gibt eine sehr große Veranstaltung, in deren Rahmen alle acht Chöre in zwei “Marathons” singen, von denen eins geistliche, das andere weltliche Musik zum Inhalt hat.  Diese Marathons finden in zwei sehr bekannten Sälen im Zentrum von Mailand statt: geistliche Musik in der Basilika Sant’ Ambrosio und weltliche im Dal Verme Theater, in der Nähe der Burg der Sforzas und der Kathedrale.

 

Das Festival von 2011

Das 20. internationale Chorfestival “Liederfabrik” fand vom 3.-21. Juni statt. 

Die Jubilate Musikvereinigung lud die folgenden Chöre zur ersten Hälfte des Festivals ein: The Gents (Männerchor, Niederlande, Dirigent Bèni Csillag), Estudio Coral Meridies (gemischter Chor, Argentinien, Dirigentin Virginia Bono), Pro Musica Mädchenchor (Mädchenchor, Ungarn, Dènes Szabò) und den katholischen Universitätschor Parahyangan (gemischter Chor, Indonesien, Dirigent Paulus H. Yoedianto).  Zur zweiten Hälfte des Festivals lud die Vereinigung ein: Hover (gemischter Chor, Armenien, Dirigent Sona Hovhannisyan), The Joyful Company of Singers (gemischter Chor, Vereinigtes Königreich, Dirigent Peter Broadbent), Arctic Lights (Frauenchor, Schweden, Dirigentin Susanna Lindmark) und Realtime (Männerquartett aus Kanada).

 

Parahyangan Catholic University Choir
Parahyangan Catholic University Choir

 

Die erste Hälfte wurde am 3. und 4. Juni mit zwei Konzerten in Legnano eröffnet, an denen alle vier Chöre beteiligt waren, mit geistlicher Musik im ersten und weltlicher im zweiten Teil.  Danach gaben die Chöre jeden Abend Einzelkonzerte in diversen Städten in der ganzen Region. 

Am Wochenende des 11./12. Juni kamen die anderen vier Chöre hinzu und trugen mit ihren Stimmen zu den zwei Marathons bei, während derer alle acht Chöre ein kurzes Programm vortrugen.  Das Dal Therme Programm wurde mitgeschnitten und wird bald als DVD erhältlich sein, wie das entsprechende Konzert von 2010, das schon zu kaufen ist.

In der zweiten Hälfte des Festivals gaben die zweiten vier Chöre in der ganzen auf die Marathons folgenden Woche Einzelkonzerte, außer am 17. Juni, an dem ein gemeinsames Konzert mit zeitgenössischer Musik in Legnano stattfand.

 

Unterstützung für einen guten Zweck

Der Jubilate Musikvereinigung lag es sehr am Herzen, die Initiative “Singt für Japan” zu unterstützen, gegründet von Meister Ko Matsuschita, den wir mit Stolz in zwei verschiedenen Jahren der “Liederfabrik” vorstellen durften. Die Initiative unterstützt die japanischen Bevölkerung, die so furchtbar unter dem Erdbeben und dem Tsunami gelitten hat. 

Aus diesem Grunde brachte der Jubilate Chor während beider Marathons Cantate Domino von Ko Matsuschita zur Aufführung, als Beitrag zu dieser Initiative.  Die Chöre, mit 260 Sängern, wurden von Paolo Alli, dem Leiter des Jubilate Chors, dirigiert.

 

Tatsachen und Zahlen

Um ein besseres Bild der gesamten Veranstaltung zu vermitteln, folgen hier ein paar Zahlen, die eine Vorstellung des Ausmaßes des Festivals von 2011 bieten sollen:

Während des 20. Festivals “Liederfabrik” führten die acht eingeladenen Chöre 251 verschiedene Stücke von 135 Komponisten auf.

Die 48 Konzerte, auf 21 Tage verteilt, fanden in 39 Städten und Gemeinden mit einem Gesamtpublikum von 25 000 statt.  Die größte Zahl der Zuhörer kamen zu den zwei Marathons in Mailand, bei denen etwa 3 500 anwesend waren.

Die Städte umfassten ein Einzugsgebiet mit einer Bevölkerung von 2 400 000, in neun der dreizehn Provinzen der Lombardei.

 

E-mail: aangelini@ifcm.net

 

Übersetzt aus dem Englischen von Irene Auerbach, England

Edited by Laura Clarke, UK

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