Liebe Freunde,
Meine Aufgabe als Universitätsprofessor ist es, junge Leute an die Herausforderungen des fortgeschrittenen Lernens heran zu führen. Dafür muss man sich ein professionelles Bewusstsein, musikalische Kenntnisse und Führungsqualitäten aneignen und dazu braucht es eine unbedingt positive Methodik, die unablässig daran arbeitet, dem, was die Studenten mitbringen, so viel hinzu zu fügen, dass sie am Ende die Universität sicher mit einem besseren professionellen “Werkzeugkasten” verlassen. Sie sollen lernen, differenziert zu denken und auf ihre Mitmenschen zu achten, etwa so, wie bei der IFCM Führungsinitiativen Verantwortlichkeit gelehrt wird. Vor einiger Zeit nahm ich hier in den Vereinigten Staaten an einer Veranstaltung teil, die mich auf die Idee brachte, einen interessanten Vergleich mit dieser positiven Herangehensweise zu ziehen.
Im April nahm ich als einer der 25 führenden Mitglieder der Chorwelt an einem zweitägigen Treffen in New Haven, Connecticut teil. Das Thema der Tagung hieß “The Choral Ecosystem Forum” und wurde von der National Association of Music Merchants (NAMM), der amerikanischen Chordirektor-Vereinigung, der Barbershop Harmony Vereinigung (BHS) sowie Chorus America gesponsert und von der Yale Universität veranstaltet.
An diesem innovativen Projekt nahmen Vertreter aus sämtlichen Chorkategorien und Chorvereinigungen teil: Musikerzieher, Komponisten, Sänger, Dirigenten und Verwaltungsbeamte. Jeder von ihnen wurde gebeten, drei andere Teilnehmer aus jeweils einer bestimmten Kategorie der Chorwelt zu interviewen. Die Organisatoren hatten den Fragebogen sorgfältig ausgearbeitet und benutzten ein Ökosystem als Metapher für unsere vernetzte Chorwelt. Die Ergebnisse der Interviews lösten energiegeladene und begeisterte Diskussionen aus.
Es ist mir bekannt, dass Chorus America die Untersuchungsergebnisse veröffentlichen und Pläne für die Weiterführung der Forschung ankündigen wird. Ich halte es trotzdem für sinnvoll, über einige der Feststellungen nachzudenken, weil die Resultate tatsächlich die gesamte Chorwelt abbilden. Im Allgemeinen war es die Meinung sowohl der Teilnehmer wie der Befragten, dass Menschen
- sich an der Chormusik beteiligen, weil es etwas nicht Greifbares berührt.
- Befriedigung aus dem Musizieren mit anderen ziehen
- es ihnen nicht so wichtig ist, für ihre Leistung Anerkennung zu bekommen
- froh sind über die Chance, sich an einer gruppenbezogenen Aktivität mit einem gemeinsamen Ziel zu beteiligen.
- eine Bezahlung für ihre Arbeit zweitrangig ist. Die Teilnahme ist erstrangig.
Es ist interessant, diese fünf Aspekte der Teilnahme an der Chormusik an den vielen internationalen Festivals, Workshops, Meisterklassen und Symposien zu messen, die ich im Laufe der Jahre erlebt habe. Die Teilnahme daran wird auf eine Art und Weise definiert, die etwas über die Menschlichkeit der Chormusik aussagt. Sie nimmt das “ich” aus der Gleichung und ersetzt es fortlaufend durch “wir”.
Meiner Ansicht nach drückt es genau das aus, was die IFCM Führung für die Kollegen aus aller Welt verwirklichen möchte: Gelegenheiten zu schaffen, das Ego zugunsten des Miteinander abzuschaffen, Wege zu finden, um als Gruppe anerkannt zu werden anstatt als Individuum, weniger über die Finanzen nachzudenken und mehr mit Menschen zu arbeiten und die Fähigkeit, immer wieder von der Macht der Musik angesteckt zu werden.
Wenn wir uns der nächsten Saison zuwenden und die Veranstaltungen für die kommenden Monate planen, möchte ich uns ermutigen, differenziert zu denken und auf andere zu achten. Bemühen wir uns, die Menschlichkeit mit Hilfe unseres “Werkzeugkastens” (nämlich der Chormusik) wieder in den Vordergrund zu rücken und den Frieden, der vom Musizieren kommt, miteinander zu teilen.
Mit guten Wünschen für unsere gemeinsame Zukunft,
Dr. Michael J. Anderson, Präsident
Übersetzt aus dem Englischen von Silke Klemm, Belgien