Ein Überblick über die Chorischen Aktivitäten in Malaysia

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Susanna Saw, Leiterin und Gründerin der Young Choral Academy, Kuala Lumpur

 

Die Chorszene Malaysias steckt noch sehr in den Kinderschuhen. Um sie auf das Niveau internationaler Chöre zu heben, ist noch viel zu tun, aber bevor wir uns damit befassen, bedarf es eines Blicks auf die Geschichte der malaysischen Chortradition.

Die Geburtsstunde des Chorgesangs ist auf Malaysias Vor-Unabhängigkeit im Jahr 1957 zurückzuführen, als die Briten hier viele Missionsschulen errichteten. In einigen dieser Schulen wurde Chorgesang als Teil des Curriculums eingeführt. Während der 1940er und 50er Jahre wurden große Teile der Kultur der hiesigen chinesischen Gemeinschaft stark von der Kultur Chinas beeinflusst. Nachdem sie einen Gastchor aus Wuhan gehört hatten, begannen viele der lokalen chinesischen Verbände, Chöre für ihre eigenen Mitglieder zu gründen. Die drei Chöre, die während dieser Zeit entstanden, sind der Chin Woo Athletic Association Selangor and KL Choir, der Selangor Yan Keng Benevolent Dramatic Association Choir  sowie der Qiong Lian Operatic Association Choir. Diese Chöre bestehen heute noch, und ihre Choristen sind zwischen 20 und 70 Jahre alt! Im Gefolge begannen ab 1960 viele andere Verbände, eigene Chöre aufzubauen.

Alle diese Chöre haben eine wichtige Rolle für die Entwicklung chorischer Aktivitäten in Malaysia gespielt, was sie auch heute noch tun. Im Lauf der Jahre führten sie Veranstaltungen wie Musikfestivals, Wettbewerbe und Konzerte durch, um diese Gesangskultur am Leben zu halten. Obwohl sich diese Aktivitäten historisch gesehen mehr auf die chinesische Chorgemeinschaft konzentrierten, haben sie den Weg für die Entstehung der gegenwärtigen Chorszene geebnet und stellen immer noch einen wichtigen Teil der malaysischen Chorkultur in seiner Gesamtheit dar.

 

All participating choirs at the 7th Malaysian Choral Eisteddfod 2009
All participating choirs at the 7th Malaysian Choral Eisteddfod 2009

 

Aber im Vergleich zu Nachbarländern wie Singapur und Indonesien bedarf die Wertschätzung Malaysias für Chorerziehung noch einigen Auftriebs. Für die Öffentlichkeit beinhaltet der Begriff „Chor“ nicht viel mehr als eine weitere Unterhaltungssparte. In den Schulen ist Chorgesang lediglich eine außerplanmäßige Aktivität und wird, wenn Prüfungen anstehen oder Schüler Lernprobleme haben,  gewöhnlich als erstes aus dem Curriculum gestrichen.

Auch wenn in den Grundschulen Musik Pflichtfach ist, wird der Chorgesang wenig betont oder einbezogen. An den meisten Schulen besteht der Hauptzweck der Chöre darin, bei besonderen schulischen Anlässen wie dem Speech Day, dem Nationalfeiertag und dem Tag des Lehrers aufzutreten. Finanziell besser ausgestattete Schulen sind in der Lage, professionelle Stimmbildner einzustellen, um mit den Choristen zusammenarbeiten; das ist aber aufgrund finanzieller Beschränkungen eher die Ausnahme als die Regel.

“Show-Chor” ist der in Malaysia bevorzugte chorische Stil. Das hiesige Publikum hat großenteils die Vorstellung, dass Chorgesang von den Sängern Reglosigkeit verlangt und deshalb kommerziell weniger unterhaltsam ist. Deshalb scheint das Publikum besser auf glamouröse Showkünste zu reagieren als auf den schönen Klang ausgewogener Stimmen. Dementsprechend arbeiten die malaysischen Chöre mehr und mehr auf ein Singen mit Bewegung oder Choreographie hin.

 

The Kuala Lumpur Children's Choir at their year end production, Triple Bill++, November 2010
The Kuala Lumpur Children’s Choir at their year end production, Triple Bill++, November 2010

 

Der jährliche interschulische Chorwettbewerb der öffentlichen Schulen Malaysias spielt für die Förderung der chorischen Gesangskultur eine wichtige Rolle. Die Malaysier sind von Natur aus sehr wettbewerbsfreudig. Dies ist die einzige Möglichkeit, Mitglieder zu motivieren, Sonderproben durchzuführen und sich um erhöhte Qualität zu bemühen. Das ist auch der Weg, um Spenden und Unterstützung von Schulleitern, Lehrern und Eltern zu bekommen. Da sich die Mehrzahl der teilnehmenden Schulen nur auf Wettbewerbe konzentriert, nehmen die chorischen Aktivitäten nach Beendigung der Wettbewerbssaison in bedauerlicher Weise ab. Nur Schulen, die besonderen Wert auf Chorgesang legen oder gute Musiklehrer haben, halten ihre Proben nach den Wettbewerben aufrecht.

Auf dem Hintergrund des Verständnisses der hier dargelegten Geschichte der malaysischen Chöre und ihrer Aktivitäten gibt es drei entscheidende Bereiche, um die man sich im Hinblick auf längerfristige Investitionen gegenwärtig kümmern muss:

 

  1. Lehrerausbildung

Um die Wertschätzung für Musik und das musikalische Niveau in Malaysia anzuheben, bedarf es guter Musiklehrer. Mit den Worten Zoltan Kodalys (Choksy, 1999):

 

“Ein schlechter Dirigent versagt einmal, aber ein schlechter Lehrer versagt dreißig Jahre am Stück und würgt die Liebe zur Musik bei dreißig Jahrgängen von Kindern ab.”

 

In den letzten Jahren haben jüngere malaysische Musiker immer mehr bemerkt, dass die Aussichten für Chorerzieher in der Tat recht gut sind. Aufgrund ihrer Teilnahme an überseeischen Wettbewerben und Musikfestivals haben einige begonnen, sich ernsthaft der Chorleitung zu widmen. Durch die Erfahrungen und Eindrücke, die sie im Ausland erworben haben, haben sie angefangen, mit gymnasialen Schulchören (zwischen 13 und 19 Jahren) und unabhängigen Jugend- und Erwachsenenchören zu arbeiten. Das Gesangsniveau dieser Altersgruppe hat sich enorm gesteigert: mehrstimmige Chöre haben sich in der lokalen Szene als sehr beliebt erwiesen, und auch bei einstimmigen Chören waren bemerkenswerte Entwicklungen zu beobachten.

Im Gegensatz zu gymnasialen Chören lässt das Niveau der Chöre an Grundschulen noch viel zu wünschen übrig. Die Mehrzahl der erfahrenen Chorerzieher arbeitet lieber mit Jugendlichen als mit Kindern, hauptsächlich weil sie meinen, zu wenig Erfahrung oder Geduld zu haben, und es für sie deshalb leichter ist, ihre musikalischen Kenntnisse älteren Choristen zu vermitteln. Dazu kommt, dass jüngere Lehrer meist wenig oder keinerlei Erfahrung im Umgang mit Schulklassen haben.

 

Meeting new friends at the Malaysian Choral Eisteddfod
Meeting new friends at the Malaysian Choral Eisteddfod

 

Gleichzeitig muss auch die Ausbildung für musikalische Früherziehung weiterentwickelt werden. In den vergangenen Jahren wurden in Malaysia vom Ausland aus Kurse für Lehrerfortbildung angeboten, um Lehrern die Möglichkeit zu geben, ihre Unterrichtskompetenzen zu verbessern, ohne viel Geld für internationale Reisen auszugeben. Seit 2009 werden hier jährlich Kurse nach der Kodaly-Methode abgehalten, die sich auf frühkindliche und Grundschulausbildung konzentrieren. In jüngster Zeit wurden 2010 örtlich auch Kurse für das Orffsche Schulwerk angeboten. Diese Programme helfen den Lehrern bei der Unterrichtsvorbereitung und erweitern ihre Kenntnisse zur Beschaffung von Unterrichtsmaterialien. Sie ermöglichen ihnen auch eine Verbesserung der musikalischen Kompetenzen, die Erweiterung ihres musikalischen Repertoires und die Entwicklung spezieller Fähigkeiten für Chorleitung und Methodik. Vor allem aber geben sie ihnen die Chance, eine Lehrerunterstützungsgemeinschaft zu gründen, die einen Kenntnisaustausch ermöglicht.

 

  1. Repertoire und Veröffentlichung

Malaysia verfügt über ein reiches musikalisches Erbe. Die drei größten Bevölkerungsgruppen Malaysias – die malaysische, chinesische und indische – haben ihre je eigene musikalische Kultur. Der östliche Teil Malaysias besteht aus zwei größeren Bundesstaaten – Sabah und Sarawak. Die Gemeinschaften dieser beiden Staaten besitzen ebenfalls einzigartige Musikformen, die sie von den zahlreichen ethnischen Stämmen beziehen, die die Bevölkerung ausmachen. Jede dieser Kulturen hat dem musikalischen Schmelztiegel, den Malaysia darstellt, ganz ohne Absicht ihren Stempel aufgedrückt.

Es besteht allerdings kein musikalischer Unterbau, der die malaysische Musik zusammenhält oder befördert. Die jüngere Generation wird stark vom Pop  beeinflusst; chinesische Gemeinschaften singen immer noch Lieder, die aus China „importiert“ wurden, und wir hören selten Chöre, die indische Musik darbieten. Malaysische Chöre, die sich auf internationaler Ebene an Wettbewerben beteiligen, sind oft kaum in der  Lage, Musik ausfindig zu machen, die unsere Kultur repräsentiert. Arrangements unserer lokalen Komponisten und Arrangeure sind rar, so dass unsere Chöre großenteils leider auf Chorwerke malaysischer Folklore zurückgreifen müssen, die von Komponisten aus Singapur, den Philippinen oder anderen Ländern arrangiert wurden.

Um dem abzuhelfen, hat die Young Choral Academy von Kuala Lumpur seit 2007 die Aufgabe übernommen, malaysische Kompositionen und Arrangements  zusammenzustellen und bekanntzumachen, indem sie eine Reihe von Werken malaysischer Komponisten  herausbringt. Die Academy gibt bei diesen Komponisten regelmäßig Werke in Auftrag und ermutigt angehende Komponisten, vermehrt Chorwerke zu erstellen, um dem Bedarf an örtlichen Chorleitern auf allen Ebenen nachzukommen.

Zusätzlich zu diesen Veröffentlichungen unterstützt die Young Choral Academy die lokale Musik auch durch die Entwicklung und Aufführung von Shows, die malaysische Musik darbieten. “Buatan Malaysia” (Made in Malaysia) ist zum Beispiel ein jährliches Konzert, das nicht nur eine Plattform für das Publikum darstellt, das mehr über malaysische Musik erfahren will, sondern auch für Komponisten, die ihre Werke vorstellen und gleichzeitig Chöre ermutigen wollen, diese zu singen. Wir hoffen, dass die Bemühungen der Academy beim Publikum den Samen aussät für eine höhere Wertschätzung der malaysischen Musik, der  in der nahen Zukunft aufgehen sollte.

In diesem Jahr wird die Young Choral Academy zusammen mit einigen malaysischen Komponisten erstmalig einen Komponisten-Workshop für Chorkomposition veranstalten.  Dieser Workshop ist vor allem darauf bedacht, den Teilnehmern Kenntnisse der Vokalkunst zu vermitteln, indem erfahrene Komponisten sowie Stimmbildner, Sänger und Chöre aus den Nachbarländern eingeladen werden, die während der Veranstaltung mit ihnen zusammenarbeiten.

 

  1. Festivals und Wettbewerbe

In den letzten Jahren konnten wir in Malaysia eine Zunahme von Workshops und Wettbewerben beobachten. Bei vielen Gelegenheiten wurden Chorberater aus dem Ausland hinzugeholt, um die Wertschätzung und das Niveau des Chorgesangs zu verbessern. Zu den größeren hier veranstalteten Chorevents zählen das Selangor/Kuala Lumpur Music Festival (seit den 1960er Jahren jährlich abgehalten); das Klang Music Festival (seit den 1980ern); das Penang State Symphony Orchestra und das Chorus Camp (seit 1990), sowie das Malaysian Choral Eisteddfod (seit 2003; früher bekannt als das Young  Singers Choral Festival).

 

Rehearsal session with Mr Jonathan Velasco at the 8th Malaysian Choral Eisteddfod, 2010
Rehearsal session with Mr Jonathan Velasco at the 8th Malaysian Choral Eisteddfod, 2010

 

Die wachsende Teilnahme von Chören an diesen Veranstaltungen ist ein wahrlich ermutigendes Zeichen dafür, dass sich die Leute allmählich ernsthaft für malaysischen Chorgesang interessieren, und wir hoffen, weiterhin Fortschritte zu machen und das Niveau dieser Veranstaltungen aufrechtzuerhalten.

Natürlich müssen wir uns noch auf vielen anderen Gebieten steigern, wie zum Beispiel dem Bau besserer Säle mit guter stimmlicher Akustik, dem Aufbau eines Chorleiterverbands, dem Erhalt besserer finanzieller und medialer Unterstützung einschließlich der Unterstützung von Regierung und Öffentlichkeit. Die Liste ist endlos! Für mögliche Verbesserungen gibt es keine Grenzen. Der Weg zum Aufbau einer besseren Chorkultur ist mühsam, aber es ist genauso aufregend, Fortschritte festzustellen. Es ist nicht das Bemühen Einzelner sondern das Zusammenwirken  vieler, was diesen Fortschritt bisher ermöglicht hat  und weiterhin ermöglichen wird. Ich hege die aufrichtige Hoffnung, dass malaysische Chöre in naher Zukunft einen spürbaren Beitrag zur  weltweiten Chorszene machen werden.

 

The Young Kuala Lumpur Singers performing Malaysian folk song and dance in China, July 2010
The Young Kuala Lumpur Singers performing Malaysian folk song and dance in China, July 2010

 

Veranstaltungen 2011

  • 9. Malaysian Choral Eisteddfod – Mai – Juni

2011 wird das Malaysian Choral Eisteddfod durch sein “Outreach Programme” immer mehr Sänger erreichen. Diese Veranstaltung wird in mehreren Bundessaaten stattfinden:

  1. April – 1. Mai: Kuching , Sarawak
  2. – 8. Mai: Kota Kinabalu, Sabah
  3. und 29. Mai: Selangor/Kuala Lumpur – Kategorie Kinder
  4. – 13. Juni: Selangor/Kuala Lumpur – Kategorie Jugendliche
  5. – 20. Juni:             Ipoh, Perak
  • Klang Music Festival – 27. – 28. August
  • Kodaly Musikalische Früherziehung – 30. Mai – 10. Juni
  • 1. Malaysischer Workshop für Chorkomponisten – September
  • Kuala Lumpur/ Selangor Music Festival – drittes Novemberwochenende
  • Kodaly Grundschul Level Training – 5. – 16.  Dezember
  • Feier des Weltchortags – 11. Dezember

 

susanna-sawSusanna Saw hat am Melba Memorial Conservatorium of Music studiert und einen Zusatzabschluss in Klavier und Chorgesang gemacht. An der University of Queensland erwarb sie das Australian Kodaly Certificate und trat sowohl als Solistin wie als Begleiterin in einer Reihe von Konzerten auf. Sie begann ihre Chorleiterkarriere mit dem Australian Boys’ Choir und wurde im Jahr 1998 Assistenzchorleiterin und Stimmbildnerin an der angesehenen MacRobertson Girls’ High School . Gegenwärtig ist sie Tutorin und Chorleiterin am  Malaysian Institute of Arts und des Chors der Musikfakultät der University of Malaya. Wenn sie nicht unterrichtet, widmet sich Susanna intensiv der Entwicklung und Förderung der Chorszene Malaysias. 2003 hat sie das Young Singers Choral Festival gegründet, ein jährliches Festival, das jungen malaysischen Musikern die Möglichkeit gibt, mit Hilfe von Chortutoren aus dem Vereinigten Königreich, Dänemark, den USA und Singapur Chorkenntnisse zu erwerben. Ihr jüngstes Projekt für die Chorszene war die Gründung der Young Choral Academy in Kuala Lumpur, gedacht als Ort, wo Chorliebhaber mehr über Chormusik erfahren und junge malaysische Komponisten und Arrangeure vermehrt Werke für Chor komponieren können. Sie wurde zum Executive Committee Member der Interkultur Foundation ernannt und ist Mitglied der International Federation of Choral Music (IFCM). Email: susanna.saw@gmail.com

 

Aus dem Englischen übersetzt von Reinhard Kissler, Deutschland

Edited by Gillian Forlivesi Heywood, Italy

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