Chorgesang in Asien und Südostasien mit neuer Dynamik und Vitalität
Von Henri Pompidor, Chorleiter und Gesangspädagoge
Mitreißende Begeisterung, teilendes Miteinander, Freude, Farbenpracht sind die Schlüsselbegriffe dieser zweiten Auflage des Vietnam International Choir Festival & Competition, dem internationalen Chorwettbewerb, der vom 12. bis 16. Dezember letzten Jahres im vietnamesischen Huế stattfand und sowohl den Teilnehmern und Teilnehmerinnen als auch den Jury-Mitgliedern gleichermaßen zur Freude gereichte. Dieses Event war nicht nur ein schönes Chorfest und eine Zelebration der Mannigfaltigkeit vokaler Ausdrucksformen, sondern zugleich ein offenkundiger Beweis für die Vitalität der Chöre in Asien und Südostasien. Heutzutage werden Chöre in vielen Ländern gefördert und unterstützt, so z.B. in Indonesien, Malaysia oder Vietnam. Man muss sich vergegenwärtigen, dass das für Tourismus zuständige Ministerium Vietnams sowie die Stiftung Interkultur, Initiatorin dieses Projekts, diese Veranstaltung gemeinsam minutiös vorbereitet hatten. Dank dieser perfekten Organisation durfte Chormusik die ganze Woche hindurch unter den bestmöglichen Bedingungen zum Ausdruck kommen. Eine wundervolle Eröffnungsfeier im großen Stadion von Huế läutete das fünftägige Festival ein. Ein Festival für Vokalmusik, in dessen Zentrum ein Wettbewerb auf hohem Niveau stand, erweitert um zahlreiche Konzerte an verschiedenen touristischen Plätzen der Stadt.
Mehr als zwanzig Chöre aus den wichtigsten Ländern Asiens und Südostasiens waren angereist, um an dem Wettbewerb teilzunehmen. Indonesien und die Philippinen waren mit zahlreichen ausgezeichneten Ensembles besonders gut vertreten. Auch Vietnam präsentierte sich sehr leistungsstark mit hochqualifizierten Gruppierungen. Weitere Länder stellten sich ebenso dem Wettbewerb, z.B. Malaysia und Südkorea. Das hohe musikalische und stimmliche Niveau der teilnehmenden Chöre gehört zu den erfreulichen Feststellungen bei diesem Wettbewerb. Der Chor der staatlichen Hochschule für Kunsterziehung Vietnams, der Vietnam National University of Art Education Choir (unter der Leitung von Vinh Hung), erhielt für seine Qualität mehrere Goldmedaillen, insbesondere in den Kategorien „Gemischter Kammerchor“ und „Gleichstimmiger Männerchor“. Vor allem zahlreiche Ensembles aus den Philippinen und Indonesien sehen sich durch den Wettbewerb bestätigt. Der Chor Iriga City Singing Ambassadors (Cris Cary B. Yu) wurde von der Jury mit dem Großpreis ausgezeichnet, während andere Chöre wie The Indonesia Choir (IgnatiusWidjajanto), der Smukiez Choir (Paulus Chandra) oder der Chor der Paduan Suara Mahasiswa Universitas Atma Jaya Yogyakarta (Nestiana Kriswardhani) und die Mapua Cardinal Singers (Angelito A. Ayran Jr.) mit einer oder mehreren Goldmedaillen aus dem Wettbewerb hervorgingen. In der Kategorie „Kinderchor” machte der Santa Laurentius Choir (Cornelius SeloAtmanto) eine sehr gute Figur und erhielt dafür eine Goldmedaille sowie einen Preis für die musikalische Leitung. Der Mädchenchor des Malaysian Institute of Arts (Susanna Saw) zeigte ebenfalls eine sehr ansprechende künstlerische Leistung, die in der Kategorie „Gleichstimmiger Kammerchor“ ausgezeichnet wurde.
Nach Abschluss des Wettbewerbs darf eine positive Bilanz gezogen werden, was den Stand des Chorgesangs in Asien und Südostasien anbelangt. Die Teilnahme einer Reihe von bedeutenden Chören auf sehr gutem Niveau bestätigt die vorhandene Vitalität. Die meisten Länder scheinen heute über eine Talentschmiede für Chöre zu verfügen, die ihr Hauptaugenmerk auf eine gute Beherrschung der Technik und ein breit angelegtes Repertoire legt. Die Ensembles sind deutlich besser vorbereitet, um den schwierigen Herausforderungen des Wettbewerbs zu begegnen. Die Chöre bieten Stimmfärbungen mit jeweils eigener Charakteristik – die Frucht der Arbeit der Chorleiter, die es vermochten, der Qualität der Stimmen und deren Ästhetik eine besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Bleibt hinzuzufügen, dass in dem optischen Erscheinungsbild der Chöre – farbenfrohe Aufmachung, synchronisierte Bewegungen – der Nationalstolz sowie das nationale Interesse an den verschiedenen Formen des chorischen Gesangs in den Vordergrund rücken. Dies ist ein zusätzlicher Trumpf in Bezug auf die Attraktivität einer musikalischen Erziehung und Ausbildung.
Die Jury würdigte insbesondere die seitens der Chorleiter erfolgten Bemühungen in Bezug auf Genauigkeit und Intonation. Diese Grundprinzipien der musikalischen Interpretation werden heute ausreichend beherrscht, so dass die Ausführung die Nuancen und das Wesentliche der Phrasierung in den Blick nimmt. Die gehörten Chöre zeigen ein fundiertes Verständnis von Musik und einen echten Willen, ihre Identität durch eine spezifische Ästhetik zu bekunden. Auch hat man erkannt, dass ein vielfältiges und auf das musikalische und stimmliche Vermögen der Sänger und Sängerinnen abgestimmtes Repertoire von Nöten war. Tatsächlich ist ein Chorwettbewerb kein technischer Vergleich, sondern vielmehr ein Austausch ästhetischer Beiträge der Chöre. Daher kommen solche Werke, die die technischen Möglichkeiten der Interpreten überschreiten, bei der Jury nicht unbedingt besonders gut an. Durch forciertes Singen werden nicht nur Stimmen gefährdet, sondern unter Umständen auch die Ohren der Jurymitglieder in Mitleidenschaft gezogen. Ein Chorleiter sollte lieber Musikstücke auswählen, die weniger anspruchsvoll sind, die jedoch sehr schön ausgeführt werden und die Zustimmung der Jury gewinnen können. Der Schwierigkeitsgrad muss sich stets nach der Erfahrung und dem Können des Chors richten. Es gibt eine Vielzahl von Chorwerken unterschiedlichster Stilrichtungen und in verschiedenen Sprachen, mit denen sich das Kunstverständnis eines Ensembles aufwerten lässt; es ist alles eine Frage der richtigen Auswahl. Die Kombination von Gesang und Tanz, die sich gleichfalls nach ihrem Beitrag zum musikalischen Ausdruck der Interpretation messen lassen muss, gehört also vor allem in der Kategorie „Folklore“, in anderen Kategorien ist sie fragwürdig.
Auch die Gestik der Chorleiter während des Wettbewerbs muss Gegenstand verstärkter Aufmerksamkeit sein, was heutzutage noch ganz und gar nicht der Fall ist. Das Dirigieren mittels Gestik setzt seitens des oder der Ausführenden den Erwerb künstlerischer, musikalischer, stimmlicher, usw. Fertigkeiten voraus. Der Dirigent muss sich sehr präzise ausdrücken, um die Kommunikation zwischen den drei Parteien – dem Chor, dem Dirigenten und der Jury – herzustellen. Die Geste löst den Ton aus, nicht umgekehrt; die Geste muss antizipiert werden, dann folgen ihr die Sänger. Gestik ist somit eine Disziplin, die eine methodische Vorbereitung erfordert, damit der Begriff „Interpretation“ einen echten Sinn erhält. Durch seine Gesten und Stabführung bringt der Dirigent seine musikalische Sichtweise eines Werks zum Ausdruck und kommuniziert den Ausführenden seine Dynamik, seine Tempi und seine Emotionen.
Diese Empfehlungen wurden im Rahmen der Endauswertung mit den Mitgliedern der Jury und den Dirigenten der teilnehmenden Chöre besprochen. So hat das 2nd Vietnam International Choir Festival & Competition einen umfassenden Beitrag zur Weiterentwicklung der Chormusik geleistet, indem die Teilnehmer und Teilnehmerinnen Empfehlungen in technischer und künstlerischer Hinsicht erhielten, um sie auf dem Weg zur Perfektion voranzubringen.
Weitere Wettbewerbe in Asien sind für 2013 und 2014 vorgesehen, eines ist bereits im kommenden Juni in Hoi An (Vietnam) geplant, zwei weitere im Oktober in Sulawesi (Indonesien) und Dezember in Manila (Philippinen). Das Festival von Huế stellt zweifelsohne einen Meilenstein dar, was den Ausdruck des neuen musikalischen Schwungs in dieser Region der Welt anbelangt. Es bestätigt, dass das aktive Singen im Chor Arbeitseinsatz, Zeit und Ausdauer verlangt, dass es eine „patrimoniale“ Disziplin ist, die sich auf Erfahrung und Austausch stützt, ein künstlerisches Feld, das nach Pierre Kaelin „Gemeinschaft schafft“. Derartige Wettbewerbe konsolidieren vor allem den Rahmen der musikalischen Ausbildung und haben Teil an der allgemeinen Ausbildung von Chorsängern und -sängerinnen sowie Chorleitern. Sie lassen Freundschaftsbande entstehen zwischen den ASEAN-Staaten, regen zur Nachahmung an und fördern die musikalische Lebendigkeit einer ganzen Region.
Henri Pompidor (Chorleiter). Als Absolvent des Konservatoriums von Toulouse und Doktor der Musik und Musikwissenschaft (PhD, Paris IV-Sorbonne) wurde Henri Pompidor 2004 zum Leiter des Lehrstuhls für Gesang und Chorgesang der Universität Rangsit ernannt, bevor er zum Fachbereich Musik von Mahidol (Thailand) wechselte, wo er seitdem als Lehrbeauftragter für Chorgesang wirkt und die Leitung der Universitätschöre innehat. Parallel dazu wurde er 2007 zum ständigen Leiter der Chöre des Thailändischen Philharmonischen Orchesters berufen. Seit 2004 haben unter der Stabführung von Henri Pompidor zahlreiche Konzerte in Thailand und Südostasien mit unterschiedlichen Universitäts- und Berufsensembles stattgefunden. In den letzten Jahren veröffentlichte er zahlreiche Forschungsarbeiten, insbesondere über Chortechniken, Phonetik für Chöre und eine Geschichte des Chorgesangs von seinen Ursprüngen bis heute. Email: henripompidor@hotmail.com
Übersetzt aus dem Französischen von Petra Baum, Deutschland