Philip Copeland, Dirigent und Lehrer
Chorleiter verbringen eine große Menge an Zeit, um das perfekte Stück für ihren Chor zu suchen. Für viele ist das schwierigste dabei, Chormusik in schnellem Tempo zu finden. Langsame Werke haben wir im Überfluss, aber fließende, kontrapunktisch gedachte Literatur lässt sich nicht leicht finden. Viele Komponisten scheinen es zu bevorzugen, die Aufgabe des rhythmischen Antriebes und Schwungs an das Klavier oder an ein anderes begleitendes Instrument abzugeben. Herausragende a cappella-Stücke im schnellen Tempo sind sehr schwer zu finden.
In der Probe stellen wir fest, dass schnelle Musik schwerer zu lernen ist und dementsprechend mehr Übung erfordert, um ein gutes Ergebnis zu erreichen. Chorsänger tendieren dazu, schnelle Musik langsamer zu lernen, denn sie scheinen eine “harmonische” Tonsprache besser zu verstehen als Kontrapunkt. Für den Chorleiter birgt die Erarbeitung eines schnellen Stücks ein Risiko, und das Ergebnis muss den Aufwand belohnen. Wir müssen sicher gehen, dass die von uns ausgesuchte Musik herausragend in ihrer Qualität ist, und dass sie für unsere Chöre schaffbar ist in der Probenzeit, die wir dafür haben.
Um die Entdeckung von außergewöhnlicher Musik im schnellen Tempo zu befördern, präsentiert dieser Artikel fünf herausragende Werke aus der ungarischen Chormusikszene. Die Komponisten repräsentieren mehrere Generationen und sind allesamt Tonsetzer von höchstem Rang.
Jozsef Karai
Jozsef Karai wurde 1927 geboren und studierte in Budapest und Pécs von 1935-1946. Zwischen 1947 und 1954 studierte er Komposition bei János Viski und Ferenc Farkas, Dirigieren bei János Ferencsik, András Kórodi und László Somogyi an der Ferenc Liszt Musikakademie. Als bekannter Dirigent hat er mehrere Chöre in Budapest geleitet und seit 1969 eine große Anzahl an Chorwerken geschrieben.[1]
Karais Alleluja (EMC 198163) ist eines der bekanntesten Stücke des Komponisten. Anscheinend ist es ein Werk, mit dem der Komponist eine Zeit lang gerungen hat, denn es trägt folgende Notiz: „Am 13. Mai 1981, nach einem erfolglosen Versuch. . . .Überarbeitet 1989.” Karais Alleluia ist ein aufregendes Chorwerk und ein exzellentes Eröffnungsstück oder ein gutes Übergangsstück zu einem langsameren Werk. Es beginnt mit der gesungenen Linie eines Solo-Tenors (Beispiel 1) und setzt sich mit feurigen Einsätzen aller Stimmgruppen fort.
Beispiel 1. Karai, “Alleluja”, T. 1
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“Used by permission of Porfiri & Horváth Publishers”
Die Einleitungspassage ist ein wichtiger Bestandteil für die Struktur des Werkes. Sie ist die Basis für alle Kontrapunkte; er webt die Linie durch alle Stimmen hindurch. (Siehe in Beispiel 2 eine Variation der Solopassage vom Anfang des Stückes)
Beispiel 2. Karai, “Alleluja”, T. 3-5
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Trotz der Grundtonart C-Dur durchläuft das Stück andere harmonische Schlüsselbeziehungen, die einfach zu verstehen sind. Karai erreicht jede Kadenz nachvollziehbar und leicht.
Die verschiedenen Schlusssequenzen sind einander ähnlich und geben dem Werk Einheit. Achten Sie in Beispiel 3 darauf, wie der Komponist eine Variation des Anfangsgesanges in den Sopran- und Altstimmen nutzt, um in einem bemerkenswerten Schluss in Takt 49 zu landen.
Beispiel 3. Karai, “Alleluja”, T. 47-49
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“Used by permission of Porfiri & Horváth Publishers”
Das Alleluia von Karai ist ein Meisterwerk der Sparsamkeit und der Begeisterung. Andere empfehlenswerte Werke des Komponisten sind das schnell bewegte Hodie Christus, natus est für SSAA (Akkord Music, AKKOR00004) und De profundis für gemischten Chor (EMB 2452).
Sándor Szokolay
Sándor Szokolay ist ein 1931 geborener ungarischer Komponist. Als Student von Ferenc Szabo und Ferenc Farkas ist Szokolay ein preisgekrönter Komponist für instrumentale, vokale und Chormusik.[1] Eines seiner bekanntesten Werke sind seine Duo motetti, op. 22 (EMB Z 8374). Dieses Werk wurde 1962 im Rahmen des Internationalen Chorwettbewerbs in Arezzo uraufgeführt und hat zwei Sätze, deren biblische Texte zu Grunde liegen: i. Domine non secundum und ii. Cantate Domino.
Der zweite Satz, Cantate Domino, kann effektvoll für einen schnellen und dramatischen Anfang eines Konzertes genutzt werden. Es beginnt mit zweistimmigen glissandoartigen Einsätzen in den Frauen- und den Männerstimmen. (Beispiel 4)
Beispiel 4. Szokolay, “Cantate Domino,” T. 1-3
Copyright 1977 by Editio Musica Budapest
Szokolays Musik ist sehr theatralisch und mit akzentuierten Einsätzen, rhythmischem Schwung und prächtigen Dissonanzen angereichert. Die geschickte Benutzung von Repetitionen hält das musikalische Material organisiert und geschlossen; das eröffnende Aufblühen, welches den Zuhörer am Anfang in seinen Bann schlägt, kommt bald danach wieder, und beide Teile werden im Da Capo gesungen.
Szokolay nutzt hohe Noten und schnelle Einsätze, um den ersten Höhepunkt des Stückes zu erreichen. (Beispiel 5)
Beispiel 5. Szokolay, “Cantate Domino,” T. 22-25
Copyright 1977 by Editio Musica Budapest
Von da an setzt Szokolay seine Idee der Etablierung des Kontrasts als Hauptmerkmal der Komposition fort. Die Frauenstimmen sind den Männern entgegen gesetzt und harmonische Sequenzen stehen rhythmischen Bewegungen gegenüber. Die rhythmischen Passagen kulminieren ihrerseits in einer neuen dramatischen Klimax und finden Befreiung in einem homophonen Schluss.
Nachdem die Anfangspassage wiederholt wurde, endet das Stück in einem dramatischen Zusammentreffen von Des-Dur und C-Dur-Akkorden (Beispiel 6)
Beispiel 6. Szokolay, “Cantate Domino”, T. 95-96
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Copyright 1977 by Editio Musica Budapest
György Orbán
György Orbán, geboren 1947, lehrt an der Liszt Musikakademie in Budapest. Der Komponist ist besonders bekannt für sein Daemon irrepit callidus. Orbans Pange lingua ist stilistisch ähnlich dem Daemon und verdient, mehr gekannt zu werden. Der Text des Pange lingua beschreibt das letzte Abendmahl Jesu Christi und berührt das Mysterium der Verwandlung. Orbáns Interpretation des Textes ist freudevoll und ausgelassen, auch wenn der Text normalerweise mit Gründonnerstag beziehungsweise der Karwoche assoziiert wird.
Wie Daemon hat Pange lingua eine treibende Sechzehntelfigur, welche für die dramatische Energie in diesem Werk sorgt. Als Kontrast zu diesen Sechzehntelnoten setzt Orbán eine aufsteigende Melodie, die gepaart von Frauen- und Männerstimmen gesungen wird. (siehe Beispiel 7)
Beispiel 7. Orban, “Pange lingua,” T. 9-12
© 2013 Hinshaw Music, Inc, reprinted with permission
Orbans Pange lingua weicht selten von der Intensität der Sechzehntelnoten ab, die er am Anfang des Werks eingerichtet hat. Wenn er davon ablässt, bringt er entweder einen kurzen Moment der Ruhe in die Intensität oder er widmet sich der dramatischen Natur des Textes. Das ist gut in Beispiel 8 zu erkennen, wo der Komponist den Chor denselben Rhythmus singen last, um die Aufmerksamkeit auf die dramatische Spannung im Text “fitque sanguis Christi merum: et si sensus deficit.” zu lenken. (Übersetzung: Und Wein wird das Blut Christi; auch wenn es der Sinn nicht einsieht . . . ) (siehe Beispiel 8)
Beispiel 8. Orban, “Pange lingua,” m. 77-80
© 2013 Hinshaw Music, Inc, reprinted with permission
Der dramatischen Steigerung folgend beendet der Komponist das Werk mit der Repetition des Textes “sola fides sufficit” in jeder Stimme für sieben Takte. Seine Intention dabei scheint es zu sein, die dramatische Energie des Textes und der Musik mittels einer Meditation über eine Hoffnungsbotschaft zu reduzieren. Um das Stück ganz zu beenden, fügt er kurz die bekannte Sechzehntelfigur über ein geflüstertes „pange lingua“ ein.
György Orbáns Pange lingua ist ein rhythmisch anspruchsvolles Werk und den Aufwand wert. Hinshaw Publishing stellt das Stück in den USA ab Januar 2013 zur Verfügung. Andere empfehlenswerte Stücke sind sein Salve Regina (HMC1498) und Orpheus With His Lute (Lanthur Ha Szol) (HMC1766).
Levente Gyöngyösi
Levente Gyöngyösi wurde 1975 in Cluj Napoka in Rumänien geboren und zog 1989 nach Ungarn um, wo er Schüler am Béla Bartók Musikgymnasium war. Gyöngyösi bezeichnet sich selbst als einen in Rumänien geborenen ungarischen Komponisten. Als Schüler György Orbans wurde Gyöngyösi schnell als herausragender Komponist bekannt. Er arbeitet seit 2002an der Musiktheorie-Fakultät der Musikakademie.
Gyöngyösis Domine Deus meus ist André van der Merwe und dem Stellenbosch University Choir gewidmet. Es ist mit vivace furioso überschrieben und ist mit seinem Tempo, der rhythmischen Energie und den Dissonanzen ein ergreifender Sturm auf den Zuhörer. Es beginnt mit einem fanfarenartigen B-Moll-Akkord mit offenen Quinten in hoher Lage, dann wiederholt sich die Fanfare und entwickelt sich zu einer Einstellung von dissonanten Akkorden. (siehe Beispiel 9)
Beispiel 9. Gyöngyösi, “Domine Deus meus,” T. 1-4
Used by permission of Kontrapunkt Music
Ähnlich wie Orban etabliert Gyöngyösi die Technik der schwungvollen Rhythmen als Begleitung zu längeren melodischen Linien. Er wiederholt die erste Silbe des Wortes „domine“, um den rhythmischen Gestus des Stückes zu verstärken. Die Melodielinien orientieren sich an der Harmonie und bilden auch Dissonanzen. (Beispiel 10)
Beispiel 10. Gyöngyösi, “Domine Deus meus,” T. 29-31
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Gyöngyösi befreit von der dramatischen Spannung durch zwei Mittel. Erstens lässt er gelegentlich die rhythmische und harmonische Bewegung auf einer einzigen Note verharren (Beispiel 11):
Beispiel 11. Gyöngyösi, “Domine Deus meus,” T. 40-44
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Außerdem liefert Gyöngyösi eine kurze homophone Passage in der Mitte des Werkes. (Beispiel 12)
Beispiel 12. Gyöngyösi, “Domine Deus meus,” T. 100-108
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Gyöngyösi ist mit Sicherheit ein Komponist, den es zu beobachten gilt, denn seine Werke verbessern sich. Sein Gloria Kajoniensis wurde vor kurzem mit dem ersten Preis der Jury beim European Award for Choral Composers ausgezeichnet. Eine weitere bemerkenswerte Komposition ist Puer natus in Bethlehem, welches ebenso André van der Merwe und dem Stellenbosch University Choir gewidmet ist.
Peter Tóth
Wie sein Kollege Gyöngyösi ist Peter Tóth ein Vertreter der neuen Generation aus Ungarn. Geboren 1965, arbeitet er momentan als Professor und Bereichsleiter für die Musikabteilung an der Universität Szeged. 1998 gründete er das Café Momusnzk, ein Online-Magazin, welches sich der klassischen Musik in Ungarn widmet. 2009 gründete er Kontrapunkt Music Publishing, eine Firma mit dem erklärten Ziel, die Herausgabe und die Aufführung von ungarischer Musik zu fördern.
Tóths Magnus, maior, maximus für Frauenchor (SSAA) ist ein brillantes Beispiel für schnelle, bewegte Chormusik. Das Werk beginnt mit einer kurzen, zweitaktigen Einleitungsphase, die abgelöst wird von einer rhythmischen Figur, die einen fundamentalen Part im ganzen Stück einnimmt (siehe Beispiel 13).
Beispiel 13. Tóth, “Magnus, maior, maximus,” T. 3-7
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Tóths Komposition vereinigt Aspekte aus Orbáns Pange lingua und Gyöngyösis Domine Deus meus mit der repetitiven Sechzehntelfigur, die schließlich mit einer ansteigenden lyrischen Linie kontrastiert wird. Tóth entwickelt das Ganze etwas weiter indem er den pulsierenden 7/8-Rhythmus der lyrischeren Linie (im 4/4-Takt) gegenüber stellt (siehe Beispiel 14)
Beispiel 14. Tóth, “Magnus, maior, maximus,” T. 22-25
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Der Kontrast zwischen rhythmischen und melodischen Elementen in diesem Werk ist faszinierend. Erst etabliert der Komponist entschlossen das rhythmische Element im 7/8-Takt in den ersten 22 Takten des Stücks durch Repetition und Überführung der Musik in verwandte Tonarten. Die lyrische Melodie erscheint zum ersten Mal in Takt 22 in der untersten Stimme. Wenn das lyrische Element zum ersten Mal auftaucht, ist es im 4/4-Takt, es steht jedoch gegen das 7/8-Element; die daraus resultierende rhythmische Dissonanz erinnert an eine Person, die zwei unterschiedliche Gedanken zur selben Zeit in sich trägt. (siehe Beispiel 14)
Der Komponist setzt die Ausschöpfung dieses Kontrastes im ganzen weiteren Verlauf des Stückes fort, indem er jedes Auftreten der lyrisch-rhythmischen Gegenüberstellung mit anderem musikalischen Material aufbricht. Die lyrische Melodie tritt wieder in der untersten Stimme auf (T. 29-33) und wird durch den Sopran einen Moment später ergänzt (T. 36-40). Die lyrische Idee wird von den anderen Stimmen in den Takten 43-45 aufgenommen und verschwindet dann für einen Moment, während die mehr rhythmische Musik voll in den Vordergrund tritt. (siehe Beispiel 15)
Beispiel 15. Tóth, “Magnus, maior, maximus,” T. 44-47
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Die Gegenüberstellung erscheint ein weiteres Mal in T. 57-64, wo das lyrische Element voll herausgearbeitet wird (T. 69-74). Als kurze End-Episode kommt das rhythmische Element wieder kurz zum Vorschein, dann endet das Stück weich auf einem Unisono-Klang.
[1] http://www.dolmetsch.com/index.htm
[2] http://info.bmc.hu/index.phpnode=artists&table=SZERZO&id=94
Philip Copeland ist Chordirektor und Musikprofessor an der Samford University in Birmingham, Alabama. Seine Chöre treten häufig auf bei internationalen Wettbewerben und Konferenzen der American Choral Directors Association wie auch der National Collegiate Choral Organization und gewinnen dort Auszeichnungen. In Samford lehrt er Dirigieren, Diktion und Musikerziehung. Dr. Copeland erwarb Abschlüsse in Musikerziehung und Dirigieren an der University of Mississippi, am Mississippi College und dem Southern Seminary in Louisville, KY. In Birmingham leitet er die Musik an der South Highland Presbyterian Church und studiert den Alabama Symphony Chorus ein für Aufführungen mit dem Alabama Symphony Orchestra. Er ist Vater der neunjährigen Drillingsschwestern Catherine, Caroline, und Claire. Email: philip.copeland@gmail.com
Übersetzt von Florian Sievers, Deutschland
Edited by Graham Lack, Germany