Von Philip Copeland, Chorleiter und Lehrer
Dies ist der zweite Artikel einer zweiteiligen Serie über amerikanische Komponisten, die nach 1980 geboren sind. Viele Jahre lang dominierte Eric Whitacre zusammen mit Morten Lauridsen die Landschaft von Chorkompositionen in den USA. Die letzten Jahre haben andere Komponisten hervorgebracht, deren Gedanken und Ideen Wurzeln fassen konnten. Diese Komponisten wurden im ersten Artikel vorgestellt: Ted Hearne (*1982), Jake Runestad (*1986) und Nico Muhly (*1981).
Für diesen Artikel befragte ich viele Chorleiter aus ChoralNet und Facebook sowie Verleger und andere Musikschaffende. Mein Ziel war es, herausragende junge Komponisten zu entdecken, was nicht einfach war. Manche Freunde nahmen Anstoß an meiner willkürlichen Wahl des Geburtsjahres 1980, andere daran, dass meine erste Auswahl keine weiblichen Komponisten vorgestellt hatte, wieder andere daran, dass sie keine Komponisten unterschiedlicher Ethnien präsentierte. Tatsächlich gab es viele Komponisten, die mein Kriterium „geboren 1980 oder später“ erfüllten, jedoch konnte ich nicht alle aufnehmen.
Schließlich entschied ich mich, vier Komponisten in diesem Artikel zur Diskussion zu stellen: Zachary Wadsworth (* 1983), Michael Gilbertson (* 1987), Dominick DiOrio (* 1984), Sydney Guillaume (* 1982). Sie werden ohne bestimmte Rangfolge hier vorgestellt.
Zachary Wadsworth (* 1983)
www.zacharywadsworth.com
Zachary Wadsworth ist ein innovativer Chor-Komponist und neues Fakultätsmitglied am Williams College, einem College für Freie Künste in Williamstown, Massachusetts.
Der Komponist James MacMillan in seiner Tätigkeit als „Oberster Preisrichter“ beim King James Bible Composition Award, der anlässlich des 400. Jubiläums der King James Bibel ausgerichtet wurde, gehörte zu den ersten, der die Aufmerksamkeit auf Wadsworths Chormusik richtete. Durch diese Anerkennung erfuhr Wadsworths Musik deutliche Beachtung, schließlich erwuchs daraus ein Auftragswerk des Magazins „Choir & Organ“ sowie eine fortgesetzte Zusammenarbeit mit Novello.
Wadsworths preisgekrönte Komposition „Out of the south cometh the whirlwind” wurde als eine “äußerst einfallsreiche und bezwingende Bereicherung des Repertoires für Chor und Orgel“ beschrieben, die als „ungewöhnlich dramatisches und fesselndes Anthem für den Evensong“ geeignet ist.
Wadsworth benennt Arvo Pärt und Luciano Berio, die einen bedeutenden Einfluss auf seine Chormusik haben, ganz besonders hebt er jedoch seinen Lehrer Steven Stucky hervor. Er bewundert Stucky insbesondere für dessen Fähigkeit, die gleiche Eleganz und den gleichen technischen Zauber in die Chormusik einzubringen, wie er sie in seiner Kammermusik und Orchesterwerken aufweist.
Wadsworth ist davon überzeugt, dass „das beste Chorwerk sich anfühlt wie ein kleiner, aufgeräumter Kosmos, in dem Text und Musik eine zentrale, widerhallende emotionale Botschaft unterstützen“. Um diese Klangwelten zu erzeugen, zieht er oft die kompositorischen Mittel und Formen früherer Jahrhunderte heran. Seine kompositorische Ausdrucksweise und harmonische Sprache sind jedoch durchwegs modern.
Zwei Werke zeigen das kompositorische Können von Wadsworth und das Verschmelzen von Neu und Alt: Beati Quorum Remissae (Alliance Music Publishing, AMP0729) und Spring is Here (erhältlich über die Website des Komponisten).
In der Motette „Beati Quorum Remissae“ benutzt Wadsworth sowohl Text als auch Musik, um die zentrale emotionale Botschaft von Buße und Vergebung zu unterstreichen. Wadsworth stellt dazu die Reihenfolge der Psalmverse von Psalm 32 um. Anstatt wie der Psalmist mit den Jubelversen zu beginnen, startet Wadsworth mit der Klage und schreitet fort zur Erlösung. Um diese Entwicklung zu unterstützen, setzt der Komponist einen kleinen zweiten Chor ein, der dem großen Chor, der Worte der Verzweiflung singt, Hoffnung und Zuversicht vermittelt.
Dieses doppelchörige Werk erinnert an Benjamin Brittens Hymn to the Virgin mit seinem zweiten Chor, der nur auf Lateinisch singt. Brittens verwendete den zweiten Chor jedoch, um den englischen Text zu kommentieren, während Wadsworth durch den lateinischen Text des zweiten Chores die Aussage des ersten Chores beeinflusst; er wirkt als dramatische Unterstützung, Hoffnung zu erwecken.
Wadsworth drückt die klagende Stimmung des Psalms durch reine Quarten mit gelegentlichen Dissonanzen aus. Beide Techniken sind wirkungsvoll, sowohl bezüglich des allgemeinen Ausdrucks wie auch in der Wortmalerei, dabei zeigen sie deutlich den Einfluss Arvo Pärts, siehe Takt 1-5 (Beispiel 1)
Beispiel 1, “Beati Quorum Remissae”, Takt. 1-5.
Der Komponist macht den Höhepunkt des Werkes wunderbar deutlich, indem er den ganzen Umfang an klanglichen Möglichkeiten des Chors nutzt, um die Worte „Rufe der Erlösung“ auszudrücken, wie hier in Beispiel 2 gezeigt wird
Beispiel 2, “Beati Quorum Remissae”, T. 47-49.
Auch in seinem „Spring is Here.“ verschmilzt Wadsworth Alt und Neu. Er benutzt die Form des Renaissance-Madrigals, um einen Text von Duncan Campbell Scott (1864-1957) mit dem Titel „Madrigal“ zu vertonen. In diesem Werk greift der Komponist auf viele überlieferte Merkmale der Madrigalform in ihrer Reinkarnation des 21. Jahrhunderts zurück, einschließlich der Strophenform, der Wortmalerei, Nonsens-Silben, des unbeschwerten Textes, der syllabischen Textvertonung und der überwiegenden Dur-Tonalität.
Mit Leichtigkeit transformiert der Komponist die kompositorische Form der Renaissance in das 21. Jahrhundert. Die ersten vier Takte zeigen die Vielfalt der kompositorischen Mittel, die er zur Vertonung der Lyrik von Scott einsetzt: Eine Melodie mit großen Sprüngen, asymmetrischem Rhythmus und eine Folge von wechselnden Taktarten. Auch wenn das Werk komplex ist, zeigt es eine sehr klare Faktur: die vertikalen Harmonien entwickeln sich logisch aus der springenden Melodie und der Text fällt natürlich mit dem unterlegten Rhythmus zusammen. (Beispiel 3)
Beispiel 3, “Spring is Here“, T. 1-4.
Das in Ehren gehaltene Mittel der Textmalerei scheint in dieser Komposition häufig auf, besonders durch die Verwendung des portamento-Glissandos auf den Worten “drowsy town“, gefolgt von etwas, das der Schlag einer Uhr zu sein scheint. Siehe Beispiel 4:
Beispiel 4, “Spring is Here”, T. 38-40.
Das Werk wird regelmäßig durch eine moderne Version von Nonsens-Silben unterbrochen, welche der Dichter anbietet. Diese wiederkehrende Technik verstärkt die Bindung zur Form des Renaissance-Madrigals ebenso wie sie der Einheit des Werkes dient. (Beispiel 5)
Beispiel 5, “Spring is Here”, T. 49-52.
Mit Hilfe der Nonsens-Silben entsteht ein überzeugender und erstaunlicher Höhepunkt im Madrigal, sichtbar in Beispiel 6:
Beispiel 6, “Spring is Here”, T. 99-101.
Zachary Wadsworths Musik zeichnet sich aus durch ein hohes Maß an kompositorischem Können, und der wachsende Umfang seines Werks umfasst ein großes Spektrum an Gefühlswelten. Wie seine Musik ist auch Wadsworths Website professionell und einfach zu navigieren, vieles ist dort zu entdecken. Auf seiner Website ordnet er seine Chorkompositionen in Schwierigkeitsstufen ein und unterscheidet in geistliche und weltliche Werke.
Dirigenten leistungsfähiger Ensembles könnten zusätzlich zu den in diesem Artikel empfohlenen Werken „To the Roaring Wind“ in Erwägung ziehen, eine uneingeschränkt zeitgenössische Vertonung von Wallace Stevens gleichnamigem Gedicht. Kirchenmusiker sollten sich die Liedvertonung von “Immortal Love, forever full” auf die Weise Calgary ansehen.
© Zachary Wadsworth. Alle Rechte vorbehalten.
Michael Gilbertson (* 1987)
www.michaelgilbertson.net
Noch keine 30 Jahre alt, ist Michael Gilbertson bereits ein bemerkenswert häufig aufgeführter und hoch geschätzter Komponist aus Dubuque, Iowa. Er arbeitet auf zahlreichen musikalischen Gebieten mit bedeutenden Werken für Ballett, Oper, Bläserensemble und Orchester. Gilbertson ist ein außerordentlich gut ausgebildeter Komponist mit einem beeindruckenden Stammbaum von Lehrmeistern. Er ist ein erstaunlicher Komponist; das Symphonieorchester seiner Heimatstadt führt seine Werke auf, seit er 15 ist.
Der bemerkenswert talentierte Komponist Gilbertson ist kein sehr produktiver Chorkomponist, doch er scheint vorzuhaben, diesen Bereich auszubauen. Er arbeitet häufig mit Kai Hoffman-Krull zusammen und hat zwei Chorwerke geschrieben, Where the Words Go und Returning. Gilbertson setzt sich mit bereits existierenden Werken und Komponisten der Vergangenheit auseinander, wie in seiner Neuvertonung von Texten, die ursprünglich von John Dowland vertont wurden. Dieses Werk, genannt „Three Madrigals After Dowland“, vertont drei Texte: Weep You No More; Burst Forth, My Tears, und Come, Heavy Sleep.
Gilbertson scheint eine kahle Textdeklamation zu bevorzugen; viele seiner Chorwerke benutzen die leere Quinte zu Beginn (Beispeil 7 und 8)
Beispiel 7, “Come, Heavy Sleep”, T. 1-4.
Brisiel 8, “Where the Words Go”, T. 1-5.
Gilbertsons “Burst Forth, My Tears” ist ein rhythmischeres Werk als die beiden anderen Madrigale. In diesem Werk entwickelt er einen treibenden Rhythmus im Chor und verbindet ihn mit dem sich aufschwingenden Sopransolo. Er bringt eine herrliche Dissonanz zur Deklamation des Textes der Solistin, üblicherweise vorbereitet von einem konsonanten Intervall. (Beispiel 9 und 10)
Beispiel 9, “Burst Forth, My Tears”, T. 5-7.
Beispiel 10, “Burst Forth, My Tears”, T. 8-10.
Kürzlich hat Gilbertson ein größeres Werk für Doppelchor fertig gestellt, das von Musica Sacra in der Cathedral of St. John the Divine in New York uraufgeführt wurde. Viele bezeichnen dieses Stück als sein „bestes Werk“, und es ist sein bislang wichtigstes Chorwerk. Dieses zwanzigminütige Werk auf Texte von Hoffman-Krull ist ein Erforschen von Liebe, Trauer und Erinnerung in einem Gespräch zwischen den biblischen Personen David und Jonathan.
Die Werke des Komponisten werden häufig von professionellen Kammerensembles gesungen, einschließlich Aufführungen durch The Crossing (Donald Nally) und The Esoterics (Eric Banks) im Laufe dieses Jahres.
© Michael Gilbertson. Alle Rechte vorbehalten.
Dominick DiOrio (geb. 1984)
www.dominickdiorio.com
Dominick DiOrio scheint dieser Tage für die Chormusik überall und alles zu sein. Sein Einfluss nimmt viele Formen an: Komponist, Fürsprecher, Chorleiter, Moderator. An erster Stelle ist er Komponist, und er wurde kürzlich – wegen „der Tiefe seiner Vision, wegen seiner meisterhaften Kompositionstechnik und seines einzigartigen Stils, der ihn in eine eigene Liga versetzt“ – zum Gewinner des American Prize in Composition des Jahres 2014 gekürt.
Der einzigartige Stil DiOrios beruht zum Teil auf seiner den Kompositionen zugrunde liegenden Virtuositätsphilosophie, ein Ansatz, den er auf verschiedene Weise umzusetzen weiß. Oft wird dies bei den Begleitinstrumenten deutlich, aber auch bei den Solostimmen, die den Chor begleiten, oder bei den eigentlichen Chorpassagen. Für DiOrio ist „das Virtuose grundlegend, da ich im Wesentlichen davon ausgehe, dass der Chor, mit dem ich arbeite, ein Ensemble ausgebildeter Sänger ist. Natürlich können auch Amateur-Ensembles diese Musik singen, was sie auch tun, aber das heißt, dass sie in Bezug auf Abzählen, Tonhöhe, Intonation, stimmliches Durchhaltevermögen und dynamische Reichweite an ihre Grenzen gehen müssen.“
DiOrio hat bereits viele Chorstücke geschrieben, darunter Werke für große Ensembles, Kammermusikensembles, unbegleiteten Chor und Chöre, die von einem Soloinstrument oder Solo-Keyboard begleitet werden. Zwei seiner Werke sollen hier besonders besprochen werden: das O Virtus Sapientiae (2013), a cappella mit drei Solosopranistinnen, und das Alleluia (2013) für Chor und Marimba.
DiOrio war ursprünglich zum Schlagzeuger ausgebildet, so dass es nicht überrascht, dass er sich für komplexe Rhythmen interessiert. Wie er selbst sagt, möchte er in vielen seiner Werke einen elastischen rhythmischen Eindruck erzeugen, wobei er – oft in einem Kontext von Beschleunigungen und Verzögerungen (2, 3, 4, 5) – alle Kombinationen der Schläge (Duolen, Triolen, Quartolen, Quintolen, Sextolen, Septolen) ausnutzt. Dieser Eindruck von Komplexität und sein Interesse am Komponieren für virtuoses Schlagzeug und Chor ist in seinem Alleluja deutlich sichtbar.
Das Werk beginnt mit kühnen Fortissimo-Statements des gesamten Chores, worauf eine treibende Marimba-Begleitung mit schnellem Tempo folgt. (Beispiel 11)
Beispiel 11, “Alleluia”, Takte 8-12.
Der treibende Rhythmus lässt in der Mitte des Stückes etwas nach, aber die rhythmische Komplexität wird, wenn auch auf subtilere Weise, in den Stimmen fortgeführt. (Beispiel 12)
Beispiel 12, “Alleluia”, Takte 53-58.
Die Partitur beinhaltet sowohl die treibende Marimba und, gegen Ende des Stückes, die rhythmische Komplexität. (Beispiel 13)
Beispiel 13, “Alleluia”, Takte 83-88.
DiOrio ist so sehr Fürsprecher zeitgenössischer Chormusik, dass es überrascht, dass er am liebsten Musik aus der Vergangenheit singt, Komponisten wie Lassus, Bach, Mendelssohn und andere. Er ist überzeugt, dass diese Komponisten und Meister des Kontrapunkts vergangener Tage den aufstrebenden Komponisten unserer Tage viel zu sagen haben. „Bei vielen heutigen Komponisten hat man den Eindruck, dass sie mit beiden Händen auf dem Keyboard schreiben, statt sich an den Lehren der Vergangenheit zu orientieren und selbstständige Stimmen durchzukomponieren.“
O Virtus Sapientiae ist ein Werk, das auf der Musik der Vergangenheit aufbaut; es enthält die Gesänge der Hildegard und ist für geteilten SATB Chor und drei Solosoprane geschrieben. Bei diesem Werk ist die räumliche Aufteilung der einzelnen Chorsegmente wichtig, da es darum geht, die Visionen Hildegards dramatisch darzustellen. Die drei Solostimmen verteilen sich auf die Nord-, Süd- und Westecken des Bühnenraums, während sich der Chor im Ostteil aufstellt.
Zu Beginn des Werks präsentieren die drei Sopran-Solistinnen eine leicht abgewandelte Form des ursprünglichen Hildegard-Gesangs mit dem lateinischen Text O Virtus Sapientiae. DiOrios Gestaltung des Gesangs wird dabei zunehmend komplexer; der zweite Teil präsentiert den ursprünglichen Gesang mit einem Kanon von drei Unisono-Stimmen, während im dritten Teil der ursprüngliche Gesang von Abwandlungen seiner selbst begleitet wird. (Beispiel 14) Die drei Versionen sind ein ausgezeichnetes Beispiel für DiOrios Kreativität und Begeisterung für das Potential einer einzelnen Melodie. (Beispiel 14)
Beispiel 14, “O Virtus Sapientiae”, Takte 15-19.
Während der ganzen ersten Hälfte des Stücks reagiert der geteilte Chor auf jede Version des Gesangs mit einer homophonen, orgelähnlichen Begleitung auf der Grundlage der englischen Übersetzung des lateinischen Textes. (Beispiel 15)
Beispiel 15, “O Virtus Sapientiae”, Takte 21-25.
In der zweiten Hälfte des Stücks wechseln die Solistinnen und der Chor zwischen den Sprachen hin und her, und die drei Solistinnen werden in ihrer fast exakten Nachahmung immer virtuoser. DiOrio gelingt es, aus dieser Nachahmung verwickelte rhythmische Muster zu kreieren. (Beispiel 16)
Beispiel 16, “O Virtus Sapientiae”, Takte 45-46.
Auf dem Höhepunkt der Komposition übernehmen die tieferen Chorstimmen etwas von der Virtuosität der vorausgegangenen Teile der Solistinnen, während die Solistinnen sich mehr am Beat orientieren und homorhythmischer werden. (Beispiel 17)
Beispiel 17, “O Virtus Sapientiae”, Takte 63-64.
Der Komponist DiOrio ist vieles gleichzeitig, aber seine Haupttätigkeit ist die eines Assistant Professor of Music an der Jacobs School of Music an der Indiana University. Neben seiner Lehrtätigkeit für Komposition leitet er NOTUS, ein Ensemble, das sich der Musik lebender Komponisten verschrieben hat. Sie machen Erstaufführungen von Werken von Studenten, aufstrebenden Komponisten und anerkannten Meistern moderner Komposition. Zu den kürzlich aufgeführten Komponisten zählen Jocelyn Hagen, Michael Gilbertson, Texu Kim, Tawnie Olson, Zachary Wadsworth und Caroline Shaw. Kürzlich, bei der National ACDA Conference von 2014, wurde diese Gruppe als das Ensemble in residence für die Tonaufnahmen des Komponisten vorgestellt.
Es scheint, dass Dominick DiOrio durch seine Arbeit mit NOTUS immer mehr zu einer einflussreichen Figur für die jüngeren amerikanischen Komponisten wird. Bei der eben erwähnten National ACDA Conference von 2014 präsentierte er auch eine interest session1 mit der Bezeichnung „Dreißig-etwas: Neue Chormusik von den interessantesten jungen Komponisten unserer Tage.“
Used with permission of the publisher Scott Foss (sfoss@halleonard.com) Editor, Classical and Concert Choral Music, Hal Leonard Publishing, 769 Diana Dr., Verona WI 53593 (+1-608-2135577)
Sydney Guillaume (geb. 1982)
www.sydneyguillaumemusic.com
Sydney Guillaume kommt ursprünglich aus Haiti und wanderte als Jugendlicher in die Vereinigten Staaten aus. Er studierte an der University of Miami und wohnt zurzeit in Los Angeles, Kalifornien. Sein Kompositionsstil trägt haitianische Züge, und er benutzt häufig Texte, die aus einem Gemisch von haitianischem Kreol und Französisch bestehen. Guillaume hat eine innige Beziehung zu den von ihm ausgesuchten Texten; die meisten von ihnen sind Bearbeitungen von Gedichten seines Vaters Gabriel T. Guillaume.
Als Komponist ist Guillaume in der Welt der amerikanischen Chormusik wohlbekannt. Seine Musik wurde bereits von Universitätschören aufgeführt, einschließlich des University of Miami Frost Chorale und des Westminster Chorus, aber auch von Profichören, einschließlich des Seraphic Fire und des Nathaniel Dett Chorale.
Der Westminster Chorus bot Gagòt unlängst bei der ACDA Western Division Conference Guillaumes dar. Für TTBB-Chor komponiert, inszeniert das Werk Gabriel Guillaumes Gedicht über chaotische Frustrationen, Verwicklungen und Erlösung. Es handelt sich um einen imposanten Text, der die Frustrationen des Alltags einfängt, bei denen „alles ineinander greift: Schmerz und Freude, Zweifel und Glaube, Ekel und Hoffnung, Gut und Böse.“
Der Komponist Guillaume stellt die im Text ausgedrückte bedrückende Frustration gekonnt dar, indem er das Stück mit D-Moll beginnt und ständig das Metrum ändert, bis es am Schluss in eine lange Serie von ¾ Takten mündet. Obwohl es sich um vertraute Tempi handelt, ist das rhythmische Muster Guillaumes absichtlich irritierend und dabei gänzlich neuartig. Die Verstörung wird durch die eingestreute Komplexität mit schnelleren rhythmischen Abfolgen und unerwarteten Harmonien noch verstärkt. Die zusätzlichen Komplikationen sind gut getimt, da sie immer dann eingebracht werden, wenn sich die Musik für kurze Zeit beruhigt hat. (Beispiel 18)
Beispiel 18, “Gagòt”, Takte 40-43.
Etwa in der Mitte der Komposition Gagòt liefert Guillaume die Lösung für die Frustrationen des Lebens mit einem schönen Choral, der dem Sturm und Stress der ersten Takte tröstliche Weisheit hinzufügt.
„Das Leben vor dem Tod ist in jedem Augenblick ein Kampf, der nur Schritt für Schritt gewonnen werden kann. Auf die Nacht folgt der Tag. Nach Regen kommt Sonne. Nach Verwirrungen, nach Chaos…beruhigt sich das Herz. Das Durchhalten im Leid bringt die Erlösung.. Ach! So sei es.”
Guillaumes Gagòt ist eine gelungene Zusammenarbeit von Vater und Sohn sowie ein wunderbares Beispiel, wie man einen Text gekonnt in Chormusik umsetzen kann. Der Komponist behandelt einen ähnlichen Text in Tap-Tap, wobei dieses haitianische Kreol-Gedicht von Louis Marie Celestin stammt.
Guillaumes Tap-Tap ist ein wildes Gemisch überlagerter Synkopierung, das durch fallende chromatische Linien, wiederholte Sechzehntelnoten und gelegentliches entzücktes Wehklagen akzentuiert wird. Der ermutigende Text des Gedichts mahnt den Hörer, die Gelegenheit eilends zu nutzen, um etwas für das Land und die Gesellschaft zu tun. In seiner Musik liegt Dringlichkeit; sie ist zu Beginn einfach, nimmt aber recht schnell komplexere Züge an. Obwohl das Werk im Ganzen von treibenden Synkopen geprägt ist, gibt es immer wieder Augenblicke homophoner Deklamation. (Beispiel 19)
Beispiel 19, “Tap-Tap”, Takte 23-28.
Sydney Guillaumes Musik zeichnet sich durch einen hohen Grad an rhythmischem Interesse aus, und sein umfangreiches Werk ist in den USA wohlbekannt. Wer sich für das hier vorgestellte Werk interessiert, könnte auch Interesse daran haben, einen Blick auf Kalinda zu werfen, das bei Walton Music erschienen ist, sowie an Dominus Vobiscum, einer anderen Vater-Sohn-Kooperation, die von Seraphic Fire in Auftrag gegeben und ebenfalls von Walton Music ediert wurde. Sowohl Gagòt als auch Tap-Tap können direkt von der Webseite des Komponisten heruntergeladen werden.
© Sydney Guillaume. Alle Rechte vorbehalten.
1 Interest Sessions sind eine Zeit während der Konferenz, in der ein bekannter Musikpädagoge oder Chorleiter eine Art Lehrstunde zu seinem Fachbereich gibt. Die Präsentationen entstammen im Allgemeinen persönlichen Erfahrungen oder persönlicher Forschung. Die ACDA bemüht sich, thematisch breitgefächerte Interest Sessions zu bieten, wozu Stimmbildung, Probenarbeit, Vom-Blatt-Singen, spezifisch altersabhängige Chorprobleme, Chorrepertoire, Chorleitung und der Geist chorischer Musikerziehung gehören. (Anm. d. Übers. partiell übersetzt aus http://www.acdavoicesunited.org/participate/interest-sessions/ Zugang 13.6.2015)
Philip Copeland ist Leiter der chorischen Aktivitäten und Associate Professor of Music an der Samford University in Birmingham, Alabama. Seine Chöre sind häufige Teilnehmer und Preisträger bei internationalen Wettbewerben und Tagungen des Verbands amerikanischer Chorleiter wie auch der National Collegiate Choral Organization. An der Universität von Samford unterrichtet er Chorleitung, Sprecherziehung und Musikerziehung. Dr. Copeland hat Hochschulabschlüsse in Musikerziehung und Chorleitung der University of Mississippi, Mississippi College und des Southern Seminary in Louisville, KY. In Birmingham ist er musikalischer Leiter der South Highland Presbyterian Church und bereitet den Alabama Symphony Chorus für Auftritte mit dem Alabama Symphony Orchestra vor. Er ist Vater der neunjährigen Drillinge Catherine, Caroline und Claire. E-Mail: philip.copeland@gmail.com
Übersetzt aus dem Englischen von Stefan Schuck und Reinhard Kißler, Deutschland