Die Wahl des Kritikers: Chanticleer und Cantus

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Von Jonathan Slawson, Journalist

 

Während vieler Jahre war Chanticleer in den USA, wenn nicht sogar weltweit, der unangefochtene König unter den ausschliesslich mit Männerstimmen besetzten a-cappella-Ensembles.  Sie haben das Publikum auf der ganzen Welt mit einer eindrucksvollen Fülle an vielseitigster Musik geblendet, gesungen mit bestechender Intonationsreinheit und echter Hingabe an musikalische Stilistik.  Vor kurzem jedoch bekamen sie Konkurrenz von einem anderen Ensemble, von Cantus. Die beiden sind nicht wirklich Konkurrenten, aber diejenigen von uns, die ganz in dieser Art von a-cappella-Musik aufgehen, haben sicher den schnellen Aufstieg von Cantus in Bezug auf Popularität mitbekommen und beobachten ihren fortwährenden Erfolg mit Konzerten auf der ganzen Welt. In dieser Ausgabe des International Choral Bulletin betrachten wir besonders zwei CDs, jeweils eine von einer der beiden Gruppen, die sich ziemlich gut ergänzen: And on Earth Peace: A Chanticleer Mass von Chanticleer und While You Are Alive von Cantus.

 

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And on Earth Peace, produziert von Chanticleer, feiert den 10. Todestag ihres Gründers, Louis I. Botto.  Vor diesem verkaufsfördernden Hintergrund vergaben sie einen Kompositionsauftrag für ein fünfstimmiges Stück, zu dem international renommierte Komponisten von überall auf der Welt (aus Israel, der Türkei, Griechenland, Irland und Amerika) jeweils einen Satz der Messe beisteuerten.  Dieses augenscheinliche Patchwork setzt sich nahtlos in der gesamten CD fort. Die Musik ist ein beeindruckender polyphoner Energiestoss, mit einem einfachen Cantus Firmus zu Beginn und am Ende, beide arrangiert von Joseph Jennings, dem musikalischen Leiter. Ihr Klang ist klar gestylt bis zur Perfektion. Die CD wird beherrscht von einem besonderen Augenmerk auf Countertenöre; diese feminine Klangfarbe ist bezaubernd. Die hohen Töne sind beeindruckend, sie durchschneiden die Musik perfekt. Einige Teile sind unbehaglich dissonant, so dass es schwierig wird zuzuhören. Die Messe insgesamt ist jedoch besinnlich und sicher eine ungemein mutige Tat. Diese CD dokumentiert die Aufgabe, die sich das Ensemble gesetzt hat: die Chorliteratur durch neue Kompositionsaufträge zu erweitern. Sie gehört sicher nicht zu den “leicht zu hörenden” und ist daher nur für jemanden mit einem geschulten musikalischen Ohr empfehlenswert. Für Liebhaber von Chormusik jedoch ist sie ein wirkliches Kleinod, ausgestattet mit einer unglaublichen Struktur und internationaler Perspektive.

Die formelle, übermäßig gestylte feminine Klangfarbe von Chanticleers And on Earth Peace passt gut zu der CD von Cantus While You Were Alive.  In dieser Aufnahme nimmt Cantus klassische Musik und macht sie ein bisschen zugänglicher.  So sind ihre Countertenöre keineswegs so eindrucksvoll und klar umrissen wie diejenigen bei Chanticleer; hier hingegen herrscht eine grobe Männlichkeit vor, die vor allem nach den übernuancierten Countertenören von Chanticleer erfrischend ist. Die Musikauswahl dieser Aufnahme ist vielfältiger – man findet hier eine etwas unzusammenhängende Zusammenstellung klassischen Repertoires ohne die verbindlichen Einschränkungen einer Messe oder die Schilderung einer bestimmten Geschichte. Darunter befinden sich meist neue Werke von renommierten Komponisten wie Steven Sametz, Walt Whitman, Eric Whitacre, Edie Hill, Timothy C. Takach, Velijo Tormis und Maura Bosch.  Die Aufnahme ist eine eindrucksvolle Sammlung von Werken bewährter Komponisten; sie geht keine Risiken ein (wie das bei der Messe von Chanticleer der Fall ist), was mehr als aufgewogen wird durch die Präsentation einer grossen Stilvielfalt.

 

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Jonathan SlawsonJonathan Slawson erwarb seinen Bachelor of Music am Westminster Choir College (USA) und studiert momentan in einem Masterstudiengang Nonprofit Management. Seine beruflichen Interessen liegen in der Kunsterziehung, der Politik und im Management. Er ist Berater der Entwicklungsabteilung für die Bravo Lincoln Center Kampagne, die Hauptkampagne zur Erlangung der nötigen Gelder für die Sanierung des Lincoln Center (New York).  Davor war er für die Leitung des Lincoln Centers und dessen Beziehungen zur Bevölkerung verantwortlich. Daneben hat er für Disney’s und In Tune Monthly geschrieben,  arbeitete als Herausgeber des Lehrerführers bei New World Stages (Stage Entertainment) und an einem Theater.  Er unterrichtete Musik an der Maureen M. Welch Grundschule, am New Jersey Performing Arts Center und am Stagestruck Performing Arts Center.  Jonathan Slawson ist Mitglied des Akademierats der Blair Academy of  Governors und erhielt 2009 den Preis des Präsidenten des Westminster Choir College, die höchste Auszeichnung der Universität.

 

Haben Sie eine CD, die hier besprochen werden sollte? Bitte nehmen Sie mit mir Kontakt auf unter jonathan.ryan.slawson@gmail.com

 

Übersetzt aus dem Englischen von Martina Pratsch, Schweiz

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